BLUR
hatten rechtzeitig begriffen, dass die von den Medien begeistert forcierte
Fehde mit Oasis um den Britpop-Thron sie musikalisch unweigerlich
in den Abgrund führen würde. Ein wie auch immer aussehender "Sieg"
über Oasis wäre in Wahrheit eine Niederlage geworden, weil BLUR gezwungen
gewesen wären, als Könige des Britpop den mit PARKLIFE und THE GREAT
ESCAPE eingeschlagenen Weg ungebrochen fortzusetzen.
Sie taten schon 1997 mit ihrem Album "BLUR" das einzig richtige,
indem sie sich dem ewigen Vergleich mit Oasis entzogen, die hysterischen
Teenie-Fans und ratlose Musikreporter hinter sich ließen und musikalisches
Neuland betraten. Zwei Jahre darauf folgte "13", ein Paukenschlag,
mit dem BLUR die neue Richtung noch beschleunigen.
Oberste
Devise des Albums scheint zu sein, auf keinen Fall stilistisch festgelegt
werden zu können:
"13"
beginnt mit "TENDER" einem fulminanten Gospel, der Rhythmus erscheint
als Hommage an John Lennons unvergessenes GIVE PEACE A CHANCE. Wer
aber bei TENDER den Lautstärkepegel hochdreht, mitswingt und glaubt,
der Rest von 13 sei auch nur ansatzweise gleicher Machart, dem werden
bereits beim ersten Ton des zweiten Stücks "BUGMAN" die Ohren abfallen,
es lärmt und kracht und kreischt, bis Ihre Nachbarn die Polizei holen.
Aber
bis die eintrifft, läuft schon Track 3 "COFFEE & TV", ein Ohrwurm
der leiseren Art, der die Erinnerung an die "alten" BLUR aufleben
lässt. Wenn Sie die Chance haben, dann sehen Sie sich den Video-Clip
dazu an. Die gleichermaßen romantische wie tragische und komische
Story zweier ineinander verliebter Tetrapack-Getränketüten wird Sie
zu Tränen rühren, denn der Clip hat alles, was ein echtes Drama ausmacht
!
Aber
"13" gibt niemals Ruhe und gestattet nicht, dass sich die Emotionen
der Hörer länger als ein Lied halten: Der größtmögliche Kontrast folgt
jeweils im folgenden Lied.
"13"
ist eine chaotische, absolut unberechenbare Platte, an die man sich
gewöhnen muss, nichts für schwache Nerven. Ihren Platz jenseits der
Britpop-Schublade suchend, tobt sich die Band kompromisslos aus: flüsternd,
dröhnend, hypnotisch, psychedelisch, krachend, blitzend und donnernd
- und am liebsten alles gleichzeitig, wie im Lied CARAMEL, das als
"Visitenkarte" für "13" gelten kann.
Unterstützt
wurden sie dabei von Produzent WILLIAM ORBIT, der kurz zuvor Madonna
mit seiner Arbeit an ihrer CD "Ray of Light" den lang ersehnten künstlerischen
Wechsel vom Glamour-Girl und der sich ständig selbst inszenierenden
Marketing-Strategin hin zur ernstzunehmenden Musikerin beschert hatte.
BLURs
und Madonnas Platten sind, um Missverständnissen vorzubeugen, in musikalischer
Beziehung natürlich überhaupt nicht miteinander vergleichbar, aber
in beiden Fällen scheint es Orbit gelungen zu sein, das Innerste seiner
"Kunden" so nach außen gekehrt zu haben, dass sie plötzlich authentischer
und ernsthafter wirken und von einer geradezu ungebremsten Energie
und strahlenden musikalischen Überzeugungskraft sind, der man sich
kaum entziehen kann.
MH
/ 23. September 2000