A
cappella ist wahrlich eine hohe Kunst, die längst nicht jeder beherrscht,
der singen kann. Denn der Gesang findet keinerlei Unterstützung
durch Instrumente, kann sich weder hinter ihnen verstecken noch sich
von ihnen durch schwierige Passagen tragen zu lassen. Hinzu kommt, dass
A cappella eine ziemlich variationslose Angelegenheit sein kann, wenn
man die Stimme nicht immer wieder zu überraschenden Kapriolen herausfordert.
Bobby
McFerrin ist wohl der Prototyp des traditionellen A cappella-Gesangs,
und Unlängst führte Björk mit ihrem Album "Médulla"
vor, dass Stimmen ein komplettes Electronica-Set ersetzen können
- A cappella am Rande des Unmöglichen.
Dagegen
nehmen sich andere nordische Kollegen wunderbar harmonisch aus, fusst
doch ihr Gesang zum Teil auf Traditionen, die viele Jahrhunderte in
die Vergangenheit zurückreichen, in die Welt der Chöre und
Choräle, der Volkslieder, die aber auch vor modernem Liedgut
keineswegs zurückschrecken.
So
sorgte die schwedische A cappella-Band "The Real Group"
vor einiger Zeit für Furore, als sie den Abba-Klassiker "Dancing
Queen" in einer Fassung ohne Instrumente vorstellten - mit keiner
Geringeren als Abba-Stimme Frida höchstselbst als Gastsängerin.
Aus
Finnland kommt nun eine weitere, hoch interessante A cappella-Band
zu uns. Rajaton (finnisch für "grenzenlos" oder "zeitlos")
veröffentlicht zunächst ein Best-of-Album: "Out of
bounds". Die übrigen Alben, so der ehrgeizige Plan des umtriebigen
Labels "Just Records", sollen in Kürze folgen.
"Out
of bounds" ermöglicht aber schon einen tiefen Einblick in
die wahrlich "grenzenlose" Welt von Rajaton. Es sind die
klassischen, bisweilen ins Sakrale reichenden Harmonien, die den ersten
Eindruck prägen, doch mit erkennbarer Leidenschaft integriert
die Gruppe auch Jazz, Pop und Folk in ihren Sound. Das Sextett aus
Essi Wuorela und Virpi Moskari (Sopran), Soila Sariola (Alt), Hannu
Lepola (Tenor), Ahti Paunu (Bariton) und Juassi Chydenius (Bass) verfügt
über unzählige Möglichkeiten der Variation und Modulation.
Man vergisst bisweilen, dass es sich überhaupt um A cappella-Gesang
handelt, oder man hört ganz genau hin um sicher zu gehen, dass
nicht doch geschummelt wurde.
Rajaton
nutzen Beatboxer für die tiefen Klänge ("Vanishing
act"), mehrstimmigen Frauengesang , der an ihre Kolleginnen von
Värttinä erinnert ("The wild song"), sie covern
Soul-Pop ("I was brought to my senses"/Sting) und die Beatles
("Lady Madonna") mit der gleichen Leichtigkeit, mit der
sie auch die Musik der finnischen Jazz-Legende Heikki Sarmanto ("Un-wishing
well") bearbeiten.
"Out
of bounds" enthält außerdem eine gemeinsam mit den
schwedischen Freunden von "The Real Group" eingespielte
Aufnahme: "We walk in a fog". Für den Nachweis des
großen Potenzials beider Gruppen ist dieser Titel eine überzeugende
Visitenkarte: man meint darauf die typisch-sphärische Trompete
von Nils Petter Molvær zu hören - doch tatsächlich
wird auch dieser Klang mit der Stimme erzeugt.
Für
"Out of bounds" wurden die Songs, die Rajaton im Original
auf Finnisch singen, ins Englische übersetzt. Sie gewinnen dadurch
an Internationalität, doch man darf auf die Veröffentlichung
der ursprünglichen, finnischen Versionen gespannt sein. Einen
Vorgeschmack gibt "Out of bounds" zum Ausklang: "Mitä
kaikatat, kivonen?" ist ein alter Traditional, zudem in alter
finnischer Sprache überliefert.
Doch
auch an neuer Musik haben die Sechs von Rajaton weiterhin ihren Spaß:
Gemeinsam mit dem Symphonieorchester von Lahti haben sie bereits ihr
neues Album aufgenommen, das in Finnland noch in diesem Herbst veröffentlicht
wird: "Rajaton sings Abba".
©
Michael Frost, 17.09.2006