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Im Tango-Rausch


Es sollte "la revancha del tango" werden, und genau so kam es dann auch. Eduardo Makaroff, Philippe Cohen Solal und Christoph H. Müller, die drei Begründer des "Gotan Project" ließen 2002 mit ihrem Debütalbum ein verstaubtes Genre wieder auferstehen und traten damit eine Bewegung los, die in dieser Form unvorhersehbar war. Ihr um Jazz-, Triphop- und Electronica-Elemente angereichter Tango wurde zum angesagten Soundtrack in Clubs, Lounge-Bars, bei Modeschauen, Kunstausstellungen und in diversen Filmen - selbst Richard Gere und Jennifer Lopez tanzten zum Tango-Rhythmus der drei Pariser Instrumentalisten.

Für ihr zweites Album "Lunático" wurde der Sound des ersten Albums noch einmal verdichtet, die Tänzer rückten nochmals enger zusammen, live kam das Klavier hinzu, die Streichersektion wurde verdoppelt, die Spielereien mit Turntables, Samples und Vocoder extravaganter.

Auf seinem Live-Doppelalbum dokumentiert das Gotan Project nun sowohl die "Revancha del Tango"- als auch die "Lunático"-Tour. Mitgeschnitten wurde im Dezember 2003 in London und im Juni 2007 in Neuchâtel. Und auch, wenn ein Mitschnitt niemals den Konzertbesuch ersetzen kann, so vermittelt sich doch auch mittels der CD ein außergewöhnlich tiefer Eindruck von dem Rauschhaften, das Makaroff, Cohen Solal und Müller auf der Bühne entwickeln. Ihr Tango ist pures Feuer, präzise in seiner Dramaturgie, elektrisierend in seinen Arrangements, getragen von brennender Sehnsucht und leidenschaftlicher Erotik. So wie sonst die Tänzer die Musik in ihren Bewegungen nachvollziehen, so läuft es hier umgekehrt: In ihren Arrangements empfinden die Musiker das unter Hochspannung tanzende Paar in seinen Bewegungen und Emotionen nach.

Das Bandoneon (Víctor Villena und Juanjo Mosalini) erzählt Geschichten voller Verlangen, Trauer und Liebe, die mal schneidend kalten, mal vor Gefühlen überbordenden Streicherarrangements gehen durch Mark und Bein, während Müller am Computer die flirrend heiße Atmosphäre nicht etwa kontrastiert, sondern durch seine dumpfen Beatloops noch weiter anfeuert.

"El tango - música pohibida" - verbotene Musik, heißt es an einer Stelle des Lúnatico-Konzerts. Das Subversive, das Verbotene, Verruchte, all das ist Teil des Tangos. Gotan Project spielt meisterhaft mit diesen Elementen, ergänzt es sogar um politische Kommentare, verarbeitet neben eigenen Kompositionen Tango-Klassiker von Astor Piazzolla aber auch Rocksongs, etwa von Frank Zappa ("Chunga's revenge"). Ambitionierte Videoprojektionen (Prisca Lobjoy) unterstützen ihren Sound - auf der Live-CD geht dieses visuelle Element zwangsläufig verloren, doch auf einer bereits erschienenen DVD kann auch diese zusätzliche Wirkung nachvollzogen werden.

 
(Video: "La revancha del tango"-live / Quelle: youtube.de)

So bleiben sie auch weiter Vorreiter und Anführer der von ihnen selbst losgetretenen Renaissance des Tangos. Dabei haben die Musiker längst bewiesen, dass sie sich auf ihren Lorbeeren nicht etwa ausruhen wollen: Eduardo Makaroff, der selbst aus Argentinien stammt, veröffentlicht auf seinem eigenen Label ("Manana Music") inzwischen die Tango-Alben von Landsleuten wie Melingo und Juan Carlos Cáceres und eröffnet ihnen damit den Weg nach Europa, während Philippe Cohen Solal sich jüngst - ebenso überraschend wie überzeugend - an die Wiederentdeckung eines anderen Genres wagte: "$olal - The moonlight sessions" war sein Debüt als Country-Musiker! Ob nun im Anschluss aus dem Gotan Project ein "Country Project" wird, darf allerdings bezweifelt werden. Der Tangorausch ist sicherlich noch längst nicht vorüber.

© Michael Frost, 01.11.2008

 

"Gotan Project Live" erscheint am 14.11.2008
bei Ya Basta / Universal. Parallel wird eine umfassende, aufwändig ausgestattete Retrospektive des Gotan Project veröffentlicht: "Gotan Box".

 

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