Die faszinierende Welt des Tango
Klassischer und zeitgenössischer Tango bei "Mañana"

Als der argentinische Gitarrist Eduardo Makaroff vor einigen Jahren mit zwei Mitstreitern in Paris das "Gotan Project" aus der Taufe hob, hoffte er sicherlich auf ein internationales Tango-Revival. Doch sicher konnte er sich dessen nicht sein. Zu gespalten ist die Schar der Tango-Fans zwischen domestiziertem Standard-Tanz, wie man ihn aus europäischen Tanzkursen kennt, einerseits, und dem anspruchsvollen Tango Nuevo eines Astor Piazzolla andererseits. Dazwischen liegt der klassische Tango, wie er in den frühen Tagen des 20. Jahrhunderst in Buenos Aires entstand - die multikulturelle Zuwandererschaft aus europäischen Juden, Italienern, Spaniern und den Nachfahren afrikanischer Sklaven gleichsam als Humus für die eigene Entwicklung nutzend.

Inzwischen dürfte der Erfolg des Gotan Project sämtliche Erwartungen übertroffen haben. Der progressive Electro-Tango von Makaroff, Christoph Müller und Philippe Cohen-Solal füllt die größten Konzertsäle, ihre CDs sind hoch gelobt - Tango ist "in".

Das wieder erwachte Interesse will Makaroff nun nutzen. Und ganz offensichtlich steht bei ihm das musikalische Interesse im Vordergrund. Anders lässt sich die opulente Aufmachung der Alben, die er au f dem eigens gegründeten "Mañana"-Label veröffentlichte, nicht erklären.


MELINGO
Maldito Tango
Mañana / Indigo
VÖ: 04.04.08
next www.mananamusic.com


Dieser Tango ist nichts für pomadige Salonlöwen: Daniel Melingos Stimme ist dunkel, rau und kantig - Gainsbourg, Paolo Conte und Tom Waits erscheinen als Referenzen vor dem geistigen Auge. Seine Musik klingt ähnlich ungeschliffen, oft kommt sie allein mit Gitarre und Bandoneon aus ("Julepe en la tierra"), ergänzt um einen spontan wirkenden, röhrenden und pfeifenden Männerchor. Wir erleben den tango canción in seiner ganzen Ursprünglichkeit, als atme er den Straßenstaub von Buenos Aires, und tatsächlich erzählt Melingo in seinen Tangos und Milongas die Geschichten der Gescheiterten, der Obdachlosen und Huren in Argentiniens Hauptstadt, aber auch ihrer ungebrochenen, oft verklärte Anziehungskraft für die europäische Bohème.

So traditionell Melingos Tango auf den ersten Blick auch erscheinen mag, beim genauen Hinhören wird man ein ungeheures Spektrum moderner Einflüsse entdecken, das bis zum Einsatz von E-Gitarren reicht ("Luisito"), und manchmal allein durch das Zusammenspiel der Instrumente lautmalerisch Dramen erzählt, die an Yann Tiersen oder die Filmmusiken von Santaolalla erinnern. Geigen dienen ihm bisweilen nicht der lyrischen Untermalung, sondern einer fast psychedelischen Atmosphäre, die er mit schwerer Stimme nur noch verstärkt. Seine Songideen erreichen bisweilen bizarren Charakter ("Cha digo!"), so merkwürdig, eindringlich und unter die Haut gehend, dass er den Hinweis auf seiner Website, dass er nicht verrückt sei, an den Anfang seiner Biografie stellt.

Dennoch verrückt er die Perspektiven der Hörgewohnheiten, nicht nur in Bezug auf den Tango. Sein Einfluss reicht bis in den Rock, dem er mit singenden Sägen und Entenpfeife auf den Pelz rückt - seine Soundideen sind unberechenbar, kompromisslos und dabei immer lyrisch und tiefsinnig. Es ist offenkundig: Melingo - ausgestattet mit einer Ausbildung am Konservatorium - hat alles andere als das Konservieren alter Traditionen im Sinn.

Damit ist er für "Mañana", das ambitionierte Label von Gotan-Project-Mitbegründer Eduardo Makaroff genau der Richtige, um die begonnene Reihe zeitgenössischen Tangos fortzusetzen. Darüber hinaus ist er genau der Richtige für ein junges, aufgeschlossenes Publikum, um den Tango neu zu entdecken und seine eindringliche Macht zu erspüren.

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

MELINGO LIVE 2009

13.05. Weimar, Köstritzer Spiegelzelt
14.05. Salzburg (A), ArgeKultur
16.05. Dornbirn (A), Kulturhaus
17.05. Heidelberg, Karlstorbahnhof

 


JUAN CARLOS CÁCERES
Utopía
Mañana / Indigo
CD 904782
VÖ: 16.11.07
next www.mananamusic.com


Ein älterer Herr mit vollem Bart und strengem Blick. So präsentiert sich Juan Carlos Cáceres im Beiheft seines Albums "Utopía". Tatsächlich ist der Argentinier ein Grandseigneur des Tango, ein im positiven Sinne Besessener, der in Buenos Aires tagsüber Kunst studierte und nachts als Posaunist in den Jazzclubs der Stadt auftrat. Er galt als Existenzialist, und so war sein Umzug nach Paris wohl zwangsläufig. 1968 traf er in der französischen Hauptstadt ein: ein "Tsunami aus Magma und Champagner", wie der Pressetext zum Album es formuliert, bemüht, die Mischung aus Urgewalt und kultivierter Eleganz in seiner Musik in Worte zu fassen.

Cáceres' "Utopía" ist nicht der Tango als Tanz zweier Menschen, sondern zuallererst eine Musikform, die das Zusammenspiel von Musikern erfordert. Folglich ordnen sich seine tangos, milongas und candombes nicht den Erfordernissen der Tänzer unter. Viel wichtiger erscheint ihm die Persönlichkeit der Instrumentalisten. Und so erfährt man beim Hören des Albums viel über die Herkunft der Musiker - und damit der Musik selbst: Tango entstand im Buenos Aires der 20er Jahre beim Zusammentreffen europäischer Einwanderer, den Nachfahren afrikanischer Sklaven, Ureinwohnern und den Nachkommen der Eroberer.

Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Fluss: der Rio de la Plata, dessen Mündungsdelta die Nachbarn Argentinien und Uruguay voneinander trennt und doch verbindet. In "Utopía" greift Cáceres gemeinsame Traditionen auf: die "murga", ein in Argentinien und Uruguay gefeierten Karneval, der - im Gegensatz zu den kommerziellen Sambaparaden im Nachbarland Brasilien - sich seine Wurzeln in den Arbeitervierteln der Städte bewahren konnte, wo er einst als Mischung aus Volksfest und politischem Protest entstanden war. Die "murgas" wurden immer wieder verboten, zuletzt während der Militärdiktatur unter General Videla, doch inzwischen erfahren sie eine Renaissance, etwa bei den Demonstrationen der Globalisierungskritiker.

Dieser Tradition erweist Cáceres seine Referenz, und mit ihnen teilt er die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt. In seiner Musik spiegelt sich diese Welt bereits wider. Es ist seine Stimme, aber mehr noch die darin zum Vorschein kommende Persönlichkeit und Autorität, die all die Zutaten vergangener und gegenwärtiger Genres zusammenhält. Wie der Italiener Paolo Conte, als dessen südamerikanischer Verwandter Cáceres gelten könnte, dirigiert er sein Orchester fast nach Belieben, inszeniert er Gefühle, Tempo und Rhythmus mit selten erlebter Intensität - ein urgewaltiges Erlebnis aus glühender Magma und perlendem Champagner.

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

HORACIO MOLINA
Tango Esencial
Mañana / Indigo
CD 886222
VÖ: 24.06.06
next www.mananamusic.com


Das Booklet zu Horacio Molinas "Tango esencial" entpuppt sich als dreidimensionales Bilderbuch, es lässt sich aufziehen wie ein Bandoneon, und die einzelnen Schichten eröffnen den Blick auf die Szenerie von Buenos Aires, seine Bars und Cafés, Industriearchitektur und den Hafen. Im Vordergrund sitzt Horacio Molina selbst, nur mit seiner Gitarre an einem Bistro-Tisch, und ähnlich dürfte auch sein Album entstanden sein, live, ohne Begleitung - nur diese Stimme, die ein personifizierter Tribut an den großen Tango-Interpreten Carlos Gardel ist, aber gleichzeitig auch Einflüsse aus Jazz und brasilianischer Bossanova in sich trägt.

Molina gilt heute als einer der wichtigsten Interpreten des Tango, der hier nicht Tanzrhythmus, sondern Lied ist, klassisch elegant, lyrisch und voller gelebter Emotion. Insofern ist Molinas "Tango esencial" durchaus vergleichbar mit "!Sigamos!", einer weiteren aktuellen Manana-Veröffentlichung. Doch Gustavo Beytelmann legt all seine Leidenschaft in sein Pianospiel, und das entführt (wiederum durch ein liebevolles 3D-Ziehharmonika-Bild im Booklet illustriert) in die nächtliche Welt der Clubs und blinkenden Lichter, amerikanische Straßenkreuzer vor imposanter Skyline. Gustavo Beytelmann ist Ozeanpianist und der "Sam" aus "Casablanca" gleichermaßen, Dreh-, Angel- und Mittelpunkt eines jeden Ortes, an dem er spielt.

Seine Etuden erinnern - wie nicht nur der Begleittext zur CD bemerkt - an Chopin, Brahms und Schumann, sie knüpfen ein hörbares Band zwischen europäischer Klassik und argentinischer Gegenwart - kaum noch auszumachen, wo die Klassik aufhört und der Tango beginnt.

So sind die Veröffentlichungen aus dem Hause "Manana" (insgesamt sind es bereits sechs, doch nur die CDs von Beytelmann und Molina lagen uns zur Rezension vor) weit mehr als nur optisch reizvoll gestaltete Weihnachtsgeschenke, sondern vermitteln darüber hinaus ebenso dreidimensionale Einblicke in die faszinierende Welt des Tango.

GUSTAVO BEYTELMANN
Sigamos
Mañana / Indigo
CD 883752
VÖ: 24.11.06
next www.mananamusic.com
 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de




 


[Up]