|
Die
faszinierende Welt des Tango Als der argentinische Gitarrist Eduardo Makaroff vor einigen Jahren mit zwei Mitstreitern in Paris das "Gotan Project" aus der Taufe hob, hoffte er sicherlich auf ein internationales Tango-Revival. Doch sicher konnte er sich dessen nicht sein. Zu gespalten ist die Schar der Tango-Fans zwischen domestiziertem Standard-Tanz, wie man ihn aus europäischen Tanzkursen kennt, einerseits, und dem anspruchsvollen Tango Nuevo eines Astor Piazzolla andererseits. Dazwischen liegt der klassische Tango, wie er in den frühen Tagen des 20. Jahrhunderst in Buenos Aires entstand - die multikulturelle Zuwandererschaft aus europäischen Juden, Italienern, Spaniern und den Nachfahren afrikanischer Sklaven gleichsam als Humus für die eigene Entwicklung nutzend. Inzwischen dürfte der Erfolg des Gotan Project sämtliche Erwartungen übertroffen haben. Der progressive Electro-Tango von Makaroff, Christoph Müller und Philippe Cohen-Solal füllt die größten Konzertsäle, ihre CDs sind hoch gelobt - Tango ist "in". Das wieder erwachte Interesse will Makaroff nun nutzen. Und ganz offensichtlich steht bei ihm das musikalische Interesse im Vordergrund. Anders lässt sich die opulente Aufmachung der Alben, die er au f dem eigens gegründeten "Mañana"-Label veröffentlichte, nicht erklären. |
|
So traditionell Melingos Tango auf den ersten Blick auch erscheinen mag, beim genauen Hinhören wird man ein ungeheures Spektrum moderner Einflüsse entdecken, das bis zum Einsatz von E-Gitarren reicht ("Luisito"), und manchmal allein durch das Zusammenspiel der Instrumente lautmalerisch Dramen erzählt, die an Yann Tiersen oder die Filmmusiken von Santaolalla erinnern. Geigen dienen ihm bisweilen nicht der lyrischen Untermalung, sondern einer fast psychedelischen Atmosphäre, die er mit schwerer Stimme nur noch verstärkt. Seine Songideen erreichen bisweilen bizarren Charakter ("Cha digo!"), so merkwürdig, eindringlich und unter die Haut gehend, dass er den Hinweis auf seiner Website, dass er nicht verrückt sei, an den Anfang seiner Biografie stellt. Dennoch verrückt er die Perspektiven der Hörgewohnheiten, nicht nur in Bezug auf den Tango. Sein Einfluss reicht bis in den Rock, dem er mit singenden Sägen und Entenpfeife auf den Pelz rückt - seine Soundideen sind unberechenbar, kompromisslos und dabei immer lyrisch und tiefsinnig. Es ist offenkundig: Melingo - ausgestattet mit einer Ausbildung am Konservatorium - hat alles andere als das Konservieren alter Traditionen im Sinn. Damit ist er für "Mañana", das ambitionierte Label von Gotan-Project-Mitbegründer Eduardo Makaroff genau der Richtige, um die begonnene Reihe zeitgenössischen Tangos fortzusetzen. Darüber hinaus ist er genau der Richtige für ein junges, aufgeschlossenes Publikum, um den Tango neu zu entdecken und seine eindringliche Macht zu erspüren. |
|
|
Cáceres' "Utopía" ist nicht der Tango als Tanz zweier Menschen, sondern zuallererst eine Musikform, die das Zusammenspiel von Musikern erfordert. Folglich ordnen sich seine tangos, milongas und candombes nicht den Erfordernissen der Tänzer unter. Viel wichtiger erscheint ihm die Persönlichkeit der Instrumentalisten. Und so erfährt man beim Hören des Albums viel über die Herkunft der Musiker - und damit der Musik selbst: Tango entstand im Buenos Aires der 20er Jahre beim Zusammentreffen europäischer Einwanderer, den Nachfahren afrikanischer Sklaven, Ureinwohnern und den Nachkommen der Eroberer. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Fluss: der Rio de la Plata, dessen Mündungsdelta die Nachbarn Argentinien und Uruguay voneinander trennt und doch verbindet. In "Utopía" greift Cáceres gemeinsame Traditionen auf: die "murga", ein in Argentinien und Uruguay gefeierten Karneval, der - im Gegensatz zu den kommerziellen Sambaparaden im Nachbarland Brasilien - sich seine Wurzeln in den Arbeitervierteln der Städte bewahren konnte, wo er einst als Mischung aus Volksfest und politischem Protest entstanden war. Die "murgas" wurden immer wieder verboten, zuletzt während der Militärdiktatur unter General Videla, doch inzwischen erfahren sie eine Renaissance, etwa bei den Demonstrationen der Globalisierungskritiker. Dieser
Tradition erweist Cáceres seine Referenz, und mit ihnen teilt er
die Hoffnung auf eine bessere, gerechtere Welt. In seiner Musik spiegelt
sich diese Welt bereits wider. Es ist seine Stimme, aber mehr noch die
darin zum Vorschein kommende Persönlichkeit und Autorität, die
all die Zutaten vergangener und gegenwärtiger Genres zusammenhält.
Wie der Italiener Paolo Conte, als dessen südamerikanischer Verwandter
Cáceres gelten könnte, dirigiert er sein Orchester fast nach
Belieben, inszeniert er Gefühle, Tempo und Rhythmus mit selten erlebter
Intensität - ein urgewaltiges Erlebnis aus glühender Magma und
perlendem Champagner. |
|
Molina gilt heute als einer der wichtigsten Interpreten des Tango, der hier nicht Tanzrhythmus, sondern Lied ist, klassisch elegant, lyrisch und voller gelebter Emotion. Insofern ist Molinas "Tango esencial" durchaus vergleichbar mit "!Sigamos!", einer weiteren aktuellen Manana-Veröffentlichung. Doch Gustavo Beytelmann legt all seine Leidenschaft in sein Pianospiel, und das entführt (wiederum durch ein liebevolles 3D-Ziehharmonika-Bild im Booklet illustriert) in die nächtliche Welt der Clubs und blinkenden Lichter, amerikanische Straßenkreuzer vor imposanter Skyline. Gustavo Beytelmann ist Ozeanpianist und der "Sam" aus "Casablanca" gleichermaßen, Dreh-, Angel- und Mittelpunkt eines jeden Ortes, an dem er spielt. Seine Etuden erinnern - wie nicht nur der Begleittext zur CD bemerkt - an Chopin, Brahms und Schumann, sie knüpfen ein hörbares Band zwischen europäischer Klassik und argentinischer Gegenwart - kaum noch auszumachen, wo die Klassik aufhört und der Tango beginnt. So sind die Veröffentlichungen aus dem Hause "Manana" (insgesamt sind es bereits sechs, doch nur die CDs von Beytelmann und Molina lagen uns zur Rezension vor) weit mehr als nur optisch reizvoll gestaltete Weihnachtsgeschenke, sondern vermitteln darüber hinaus ebenso dreidimensionale Einblicke in die faszinierende Welt des Tango. |
|
[Up]