"Radio
Maria", erstes Werk von Marius Müller Westernhagen nach
einer mehrjährigen Pause, wirft in vielerlei Beziehung Fragen
auf. Musikalisch geht er den stets eingeschlagenen Weg zwischen ruhigen
Balladen und Stadionrock weiter und kommt dabei zu glänzenden
Ergebnissen wie "Ich bin wieder hier", einer von seinen
Fans wörtlich genommenen (und vielleicht auch so gemeinten) programmatischen
Selbstbehauptung.
Dennoch:
Schon der Titel "Radio Maria" ist Anzeichen für neue
Themen im Universum Westernhagens - eine seltsame, weil oft unverständliche
Hinwendung zur Religion, bei der man nicht so recht weiß, wo
der Ernst aufhört und die Ironie beginnt. Bereits im Opener "Jesus"
(!) ist man hin- und hergerissen zwischen dem rockigen Äußeren
und textlichen Ungetümen wie "bitte lass mich ein - in dein
Himmelreich - ich vergehe - mit ein bisschen Glück - werden wir
verrückt" - Westernhagen verwirrt ?
Insgesamt
bietet "Radio Maria" reichlich Anlass für Verwunderung.
Die religiös angehauchten Texte einiger Lieder werden konterkariert
durch Lieder wie "Lola Blue", das einen Western erzählt
und am Galgen endet, während gleich darauf "Supermann"
das Ende des Machismo proklamiert.
Vieles
auf "Radio Maria" klingt nach Midlife-Crisis, als ob ihm
die Richtung abhanden gekommen wäre, und eher noch als "Wo
ist Behle ?", so der Titel eines weiteren Liedes, dessen Text
komplett in die Unverständlichkeit abdriftet, fragt man sich,
wo denn Westernhagen eigentlich ist, oder mit den Worten eines Grönemeyer-Titels:
"Was soll das ?"
Neben
"Ich bin wieder hier" ist eines der wenigen auch textlich
gelungenen Stücke übrigens eine Liebeserklärung ("Durch
deine Liebe"). Sie ist an Jesus gerichtet.
Die
Frauen in Westernhagens Musik kommen nicht so gut weg. Wie in der
"0190"-Reklame heißen sie meistens "Lola",
"Lolita" oder "Rosamunde", fahren "ohne Höschen
nach Paris" und beschwören eine vergangene Zeit, der Westernhagen
wohl immer noch nachhängt, obwohl die Erinnerung daran ziemlich
abgenutzt ist.
Schließlich
mag man dem Westernhagen von heute, der längst nicht mehr als
hemdsärmeliger Theo, sondern im Armani-Anzug daherkommt, die
kleinen postpubertären Phantasien auch nicht mehr so recht abnehmen.
Manchmal
wünscht man sich, er hätte es gemacht wie vor ihm die Crash
Test Dummies aus Kanada. Als denen partout keine vernünftige
Refrain-Zeile einfallen wollte, sangen sie einfach "mmm"
und stellten damit die Melodie in den Vordergrund. Es ist schade,
dass Westernhagen seinen eigenen wirklich guten Kompositionen nicht
in gleicher Weise vertraut und sie deshalb mit oft völlig überflüssigen
Textzeilen verquast. Beispiel: "Ich sitz auf meiner Wolke - krank
vor Eifersucht - und die Witwe Bolte - völlig ausgebucht".
Wie bitte ?
Weniger
hätte auch hier manchmal mehr sein können.
MF
/ 23. September 2000