Zwischen
dem Erscheinen von BLEIBT ALLES ANDERS und dieser Besprechung liegen
mehr als zwei Jahre. In diesen zwei Jahren hat sich das Leben von
Herbert Grönemeyer auf radikale Weise verändert. Im Abstand von nur
ein paar Wochen starben seine Frau und sein Bruder. Grönemeyer tauchte
daraufhin ab, die Promotion für die eben erschiene CD blieb rudimentär,
Fernsehauftritte wurden abgesagt, die Tournee verschoben.
Aber:
Kaum jemanden ließ das schwere Schicksal Grönemeyers unberührt. In
Deutschland fühlten nicht nur Fans mit. Wer jemals auch nur ein paar
Zeilen von "Halt mich" oder "Morgenrot", seinen bekanntesten Liebesliedern,
gehört hat, ahnte, wie sehr Herbert Grönemeyer seine Frau geliebt
haben muss, um solche Lieder und solche Texte überhaupt schreiben
zu können.
Unzweifelhaft
gehören sie zu den schönsten und eindringlichsten Balladen, die
in den letzten Jahrzehnten in Deutschland veröffentlicht wurden, beseelt
von einem ungemein sensiblen und treffsicheren Sprachgefühl, wie es
außer Grönemeyer vielleicht nur noch Rio Reiser beherrschte.
Auf
BLEIBT ALLES ANDERS ist in vielerlei Hinsicht tatsächlich alles anders
geblieben. Grönemeyer begibt sich, für einen deutschen Musiker ungewöhnlich,
für einen deutschen Musiker mit Wohnort London wiederum nicht, mutig
und entschlossen auf die Suche nach neuen Tönen und Rhythmen - und
findet sie im TripHop und Drums&Beats.
Vor
allem "FANATISCH" zeigt einen neuen Grönemeyer, der sich mit seiner
musikalischen Identität nicht zufrieden gibt, sondern das Neue sucht,
anders als etwa Marius Müller- Westernhagen, der sich zwar von Platte
zu Platte bemüht, seinen eigenen Sound zu perfektionieren, ansonsten
neuen Einflüssen aber einigermaßen resistent begegnet.
Trotzdem
bleibt Grönemeyer sich auch mit diesem Album treu.
Lässt man die Beats und Samples beiseite, die oft wie Elemente zur
Verfremdung wirken, entdeckt man die charakteristischen Grönemeyer-Merkmale
- natürlich seinen Gesang, seine rhetorischen Qualitäten, die Wortspiele,
die sich selbst im CD-Titel niedergeschlagen haben, auch wenn BLEIBT
ALLES ANDERS insgesamt kühler wirkt als die vorherigen Platten. Es
fehlen die deutlichen politischen Statements, aber auch die persönlichen,
manchmal intimen Bekenntnisse früherer Texte.
Grönemeyer
wirkt bei vielen Liedern distanzierter und geht beim Hören, mit
Ausnahme des ergreifend instrumentierten Schlusssongs "SCHMETTERLINGE
IM EIS" und der Single-Auskopplung "ICH DREH MICH UM DICH",
nicht so unter die Haut.
Er legt offensichtlich einen Schwerpunkt auf seine musikalische Entwicklung.
Seine Energie hat er hierauf verwendet, und das macht Sinn. Nachdem
seine beiden letzten Live-Alben "LIVE" und "UNPLUGGED" eine Art Gesamtschau
seiner bisherigen Werke waren, sollte BLEIBT ALLES ANDERS vielleicht
eine neue Schaffensperiode einläuten.
Wie
die jetzt, nach den furchtbaren persönlichen Schicksalsschlägen, die
er erlitten hat, aussehen wird, ist wohl noch offen. Auf seiner inzwischen
nachgeholten Tour ist Grönemeyer in ganz Deutschland begeistert gefeiert
worden. Hoffentlich gibt ihm das Kraft für die nächsten
Produktionen.
Michael
Frost / 23. September 2000