Eine
"Reise in eine fremde Welt" verspricht der Pressetext. Andererseits
führt die Reise "nur" nach Bulgarien, beliebtes Ferienziel
am Schwarzen Meer, Aufnahmekandidat für die Europäische Union
- ein Land zwar nicht "in der Mitte", aber auch nicht wirklich
"am Rande" Europas. Dennoch: was weiß man hierzulande
wirklich?
Weiß
man, dass die Kultur der Thraker im Gebiet des heutigen Bulgarien
wurzelt? Dass sich hier seit Jahrhunderten die Kulturen des Balkans,
der Türkei und Griechenlands begegneten - wenn auch nur selten
in friedlicher Absicht? Erst Mitte des 19. Jahrhunderts konnten sich
die Bulgaren von ihren türkischen Besatzern befreien, mit Unterstützung
des russischen Zaren Alexander II. Der neue Staat wurde übrigens
zunächst von einem Deutschen geführt: Prinz Ferdinand von
Sachsen-Coburg-Gotha. Die Menschen in den Dörfern, Bulgaren,
Türken und andere Volkgruppen, lernten friedlich miteinander
zu leben, es kam sogar zu Eheschließungen zwischen den ehemals
verfeindeten Gruppen.
Dies
ist wohl der Ausgangspunkt eines äußerst ungewöhnlichen
CD-Projekts mit dem Titel "Bulgarian Wedding - Music from the
last century", das - noch ungewöhnlicher - in Frankreich
entstand. Dort baute Francois des Ligneris den Hof seines Weinguts
in der Nähe von Saint-Emilion zu einem Studio um, das er "Atelier
des Nuages" nennt, und in das er immer wieder Musiker zu Aufnahmen
einlädt.
Für
den bulgarischen Saxophonisten Trifon Trifonov und sein Ensemble Stanimaka
machte des Ligneris eine Ausnahme, denn für die Einspielung traditioneller
bulgarischer Hochzeitsmusik des 19. Jahrhunderts schien es sinnvoller,
diese in einer möglichst authentischen Atmosphäre geschehen
zu lassen. Deshalb ließ er eigens eine Außenbühne
zimmern, stellte lange, "mit weißen Papierdecken ausgelegte
Tische, und Holzstühle" auf, während zeitgenössische
Lampen den Hof erleuchteten und zahllose Flaschen des hauseigenen
Weines bereitsgestellt wurden ... "Das Fest kann beginnen, die
Gäste treffen ein, nehmen ihre Plätze ein, die Musiker kommen
den Pfad über den Berg entlang und spielen den Hochzeitsmarsch
'Kozbunarsko Xoro' ..." (Booklet). Die komplette CD wurde so
vor dieser einzigartigen Kulisse aufgenommen.
Die
Themen der Musik sind universell: Liebe, Glück und Leidenschaft,
aber auch Trauer über die Kriegsopfer und dramatische Legenden
aus der Historie des Landes und seiner Menschen. So wechseln temperamentvolle
Märsche und elegische Balladen einander ab, letztere vorgetragen
mit der markanten Stimme von Velichka Trendafilova-Gioreva. Früher,
erzählt das Booklet, hätten die Lieder übrigens ausschließlich
von Männern gesungen werden dürfen.
Ebenso
stilvoll wie das gesamte Arrangement dieser Aufnahme ist auch die
CD selbst gestaltet. Das Begleitheft enthält zahlreiche Informationen
zu den einzelnen Titeln, ihren Ursprüngen und den zum Teil abenteuerlichen
Bedingungen, unter denen sie überliefert wurden. So rückt
schließlich die fremde Welt Bulgariens ein wenig näher.
©
Michael Frost, 01.04.2005
Trifon
Trifonov & Stanimaka: "Bulgarian Wedding" Winter&Winter
W&W 910100-2 / EDEL