Nach
dem Album "Summer make good" von 2004 verließ Kristin
Anna Valtysdottir ihre Band Múm. Damit folgte sie ihrer Schwester
Gyda, die der isländischen Band bis dahin gemeinsam Gesicht und
Stimme gegeben hatten. Ihr glockenheller Gesang war es nämlich,
der den merkwürdigen, jedoch betörend schönen Harmonien
aus Computerfrickelei, Symphonie und nordischer Sage geprägt hatte.
Während
die verbliebenen Mitglieder von Múm seither zwangsläufig,
aber alles andere als erfolglos, ihre instrumentale Seite betonen,
zog es Kristin an einen Ort, der vermutlich in jeder Hinsicht das
komplette Gegenteil zu ihrer isländischen Heimat darstellt: New
York. Dort lebt sie inzwischen mit ihrem Ehemann Dave Portner, Mitbegründer
der experimentellen Rockband "Animal Collective".
Inzwischen
wurde die private Liaison der beiden Musiker um ein gemeinsames Arbeitsprojekt
erweitert. Unter ihren Künstlernamen Avey Tare (Portner) und
Kria Brekkan (Valtysdottir) veröffentlichten sie im Frühjahr
2007 das Album "Pullhair rubeye", das in puncto Experimentalität
wohl alles übertrifft, was beide vorher bei Animal Collectiv
und Múm gemacht hatten. Der Sound des Albums scheint fast ausschließlich
aus Fragmenten zu bestehen, die der Zuhörer erlebt wie die Musik
aus vorbei fahrenden Autos: Klänge, die aus dem Nichts auftauchen,
sich kurz laut emporschwingen um genauso schnell wieder im Nichts
zu verschwinden; Fetzen und Bruchteile von Kompositionen, die weder
Anfang noch Ende haben und sich dem Schema eines "Liedes"
- oder neudeutsch: eines "Songs" - verweigern.
Der
Begleittext zu diesen verstörenden Klängen erwähnt,
Avey Tare und Kria Brekkan hätten zu Beginn ihrer Aufnahmen mit
Gitarre und Klavier gearbeitet. Glauben mag man das nicht, denn keiner
der Klänge auf "Pullhair rubeye" scheint irgendwie
bekannten Ursprungs zu sein. Vielmehr scheinen die Computer endgültig
die Macht über die Menschen gewonnen zu haben. Selbst Kristins
Gesang, immerhin auf einigen der Tracks zu hören, wirkt nochmals
entrückter und fremder, als dies schon bei Múm der Fall
war. Am Ende des Aufnahmeprozesses seien Avey und Kria selbst überrascht
gewesen über die von ihren kreierten Sounds, ist zu lesen, aber
so geht wahrscheinlich auch dem Maler, der nach Vollendung seines
Bildes einen Schritt zurückmacht und seine Leinwand in Gänze
betrachtet.
Wenn
man, wie in der Populärmusik gemeinhin üblich (und leider
auch immer wieder sinnvoll), den Unterschied zwischen Musik und Kunst
definiert, dann gehört "Pullhair Rubeye" vermutlich
zur zweiten Kategorie. Avey Tares und Kria Brekkans Collagen bauen
eine Atmosphäre auf, die einem abstrakten Gemälde entlehnt
worden sein könnte, beide Kunstformen verweigern sich der Gegenständlichkeit,
naturalistischer Abbildung ohnehin. Trotzdem kann man das Ergebnis
ihrer Arbeit nachempfinden, weil sich ihre Stimmung überträgt:
als Frösteln, als Beklommenheit, als Irritation - über eine
Welt, die nicht die unsere zu sein scheint, aber mit unseren Mitteln
erschaffen wurde.
©
Michael Frost, 26.10.2007