Exakt
dort, wo man es vermuten würde, hat die isländische Band
Múm ihr drittes Album entwickelt. "Sommer make good"
entstand zunächst in einem alten Leuchtturm an der nordwestlichen
Spitze Islands, bevor die Arbeiten in professionellen Studios abgeschlossen
wurden.
Im
Rücken die Klippen der Eisinsel, zur anderen Seite nichts als
Horizont und schäumende See. Sieben Wochen verbrachten die Musiker
in dieser einzigartigen Umgebung. "Für uns ist es nötig,
uns vom Rest der Welt zu isolieren, um die nötige Ruhe zu finden,
in der wir unsere Lieder entwickeln können", erklären
sie. Aber: Sie seien auch von aktuellen Trends beeinflusst, haben
sie doch zweitweise auch in Kopenhagen und Berlin gearbeitet. Múm
beeilen sich, allzu einfache Erklärungsmuster zu durchbrechen:
Nicht jeder Ton ihrer Musik lasse sich auf die isländische Landschaft
zurückführen.
Dergleichen
wird immer wieder versucht, seit Björk und Sigur Rós das
internationale Interesse für die verschrobenen Klangwelten isländischer
Bands begründeten, und auch im Falle von Múm scheinen
Interpretationen mit Rückgriff auf die bizarre Natur der Polarregion
nahe liegend. Das Trio aus Gunnar Örn Tynes, Övar Thóreyjason
Smárason und Kristín Ana Valtysdóttir beschreibt
in seiner Musik eine Art Zwischenwelt, in der man ohne Zögern
alle nordischen Trolle, Elfen und Nissen ansiedeln würde, eine
Traumwelt abseits der Realität, aber nicht ohne Bezug zu ihr.
Sie
wollen ihren Zuhörern ein Lächeln entlocken, erzählt
das Múm-Gespann in Interviews - aber auch ein kleiner Schock
könne nicht schaden. Wichtig sei in jedem Fall der Überraschungsmoment,
das Hinterfragen von Gewohnheiten - auch von Hörgewohnheiten.
Solche werden von Múm jedoch nur benutzt, um sie zu durchbrechen.
Die
Instrumente sind oft undefinierbarer Herkunft, auch der feenartige
Gesang von Kristín (auf den ersten beiden Múm-Alben
noch im Duo mit ihrer Schwester Gyda) scheint nicht von dieser Welt.
Hier sphärische Klänge, dort elektronischer Minimalismus:
ein Múm-Album ist immer ein Grenzgang, eine Wanderung zwischen
den Extremen; aber trotzdem klingt die Musik spielerlisch, oft sogar
von kindlicher Naivität geprägt - und so weben sie ihr Publikum
mit Zauberhand in einen Atem beraubenden Kokon aus klirrender Klängen,
märchenhaften Melodien und sanften Gesängen.
Der
internationale Erfolg dieses seltsamen Sounds kam für Múm
überraschend. Die Kollegen von Sigur Rós hatten ihrer
britischen Plattenfirma das erste Album mitgebracht. Von da an sei
alles wie von selbst gelaufen. FatCat nahm Múm unter Vertrag,
veröffentlichte später "Finally we are no one"
- und die Kunde von einer neuerlichen Band aus Islands wundersamen
Popszene verbreitete sich schnell.
"Summer
make good" ist nun bereits das dritte Album von Múm, und
mehr als jemals zuvor ruckelt und rauscht, klimpert, knackt und klappert
es zwischen bizarren Akkordeontönen und betörendem Klein-Mädchen-Gesang.
Geradezu
grotesk wirkt dieser "Sound of Silence" (Pressetext) zeitweilig,
wie eine Aneinananderreihung von Fragmenten, bei denen man nie wirklich
sicher sein kann, ob sie überhaupt zusammen passen.
Dennoch:
Verbunden durch die Akustik isländischer Naturgewalten ergeben
die einzelnen Komponenten ein Bild, und wer sich von der kargen Oberfläche
des Sounds nicht abschrecken lässt, wird darunter eine kuriose
Fabelwelt entdecken und vielleicht auch das eine oder andere ihrer
Geheimnisse entschlüsseln.
©
Michael Frost, 01. Mai 2004