Sigur
Rós, so der Beginn einer jeden Rezension - einschließlich
dieser - ist eine Band, deren Musik ohne Beispiel ist. Aus diesem
Grunde fehlt für die korrekte, bzw. gerechte Beurteilung ihrer
Werke der Maßstab. Woran soll man Sigur Rós messen -
außer an sich selbst?
Die
vier Isländer Jónsi Birgisson, Kjartan Sveinsson, Georg
Holm und Orri Pall Dyrason gehören seit einigen Jahren zu den
erstaunlichsten Phänomenen der Rockwelt. Ihre musikalischen Visionen
zwischen Klassik, Post-Rock, Filmmusik und Landschaftsmalerei sind
in jeder Hinsicht ungewöhnlich, und dennoch - allen Gesetzen
des Mainstreams zum Trotze - ungemein erfolgreich, und das fast weltweit:
in Europa, in Nordamerika, in Japan und Australien.
Tatsächlich
ermöglicht das assoziative Potenzial ihrer Musik Menschen ganz
unterschiedlicher Herkunft, sie mit Bildern aus dem eigenen Erfahrungshorizont
zu füllen. Sigur Rós ihrerseits fördern diese Offenheit,
indem sie kaum Erklärungen zu ihren Kompositionen geben. Jónsi
Birgisson singt mit hoher Kopfstimme zumeist in einer band-eigenen
Kunstsprache ("Hopelandish"), die allein lautmalerischen
Gesetzen unterliegt. Ihrem letzten Studiowerk gab die Band noch nicht
einmal mehr einen Namen, sondern zwei Klammern "( )", und
die Songs wurden nur noch durchnummeriert. Die Leerstellen sollten
von den Zuhörern selbst gefüllt werden, und das war durchaus
konkret gemeint, denn das Booklet enthielt zu diesem Zweck ausschließlich
leere Seiten.
Das
neue Album von Sigur Rós trägt nun wieder einen Namen.
Es heißt "Takk ...", Isländisch für "Danke",
und auch die elf Titel tragen Namen, isländische zumeist, weshalb
die freie Assoziation wenigstens für die internationale Fangemeinde
nicht großartig eingeschränkt wurde. Unterstützt wird
das Quartett darauf erneut von dem gewohnt zauberhaften Ensemble Amina
(Streichinstrumente, Percussions), aber auch von einem großen
Orchester.
Doch
wie schon die vorigen Alben erschließt sich auch "Takk
..." nicht durch den akribischen Blick ins Detail: Im Gegenteil
wird man, wie bei einem großformatigen Gemälde, zurücktreten
müssen, um das Kunstwerk in seiner gesamten Dimension erfassen
zu können. Später wird man sich dann immer noch in das eine
oder andere Glockenspiel verlieben, einen besonders elegischen Geigenpart,
einen Walzertakt oder ein Bläserintermezzo, die mit dem Geigenbogen
gestrichenen Saiten der E-Gitarre, und sowieso in Birgissons zerbrechlichen
Gesang.
Doch
in der Gesamtschau wird man "Takk ..." im Vergleich zu "Von",
"Ágætis Byrjun" und "( )" vielleicht
als das optimistischste Sigur Rós-Album bezeichnen. Wie ein
Wolken verhangener Himmel, durch den dann und wann kraftvolle Sonnenstrahlen
blitzen, erscheinen auch die Titel auf diesem Album durchsetzt von
hoffnungsvollen Strahlen, welche die Musik zum Leuchten bringen.
Ihre
Ursache entspringt offenbar dem Lebensgefühl der Bandmitglieder:
Sie
seien dankbar und zufrieden über den Verlauf ihrer Karriere,
glücklich über ihr Leben, erzählen sie in neueren Interviews,
deshalb sei ihnen "Takk ..." als angemessener Albumtitel
erschienen.
Musik
von glücklichen Menschen, das ist vielleicht der Maßstab,
mit dem "takk ..." zu messen wäre, und an dieser Stelle
eröffnet sich wieder die assoziative Freiheit, denn von hier
an liegt es wieder am Zuhörer selbst, in dieser Musik etwas von
diesem Glück zu empfinden. Dass die Übermittlung funktioniert,
haben Sigur Rós im vergangenen Sommer bei ihren Open-Air-Konzerten
gezeigt, bei denen sie einige Stücke ihres neuen Albums vorab
vorstellten. Am Ende der Auftritts sah man, wie sich die Besucher
auf den Heimweg machten, leise beschwingt mit einem warmen Lächeln.
Takk, Sigur Rós!
©
Michael Frost, 10.09.2005