Das
Leben liebt das Unerwartete. Wer könnte die Richtigkeit dieses
Satzes wohl nicht unterschreiben ? Derartige Weisheiten sind auch keineswegs
neu. In Schweden wurden sie bereits im 17. Jahrhundert gedichtet und
vertont: För världen älskar vad som är brokot. So
heißt die Textzeile von Lasse Lucidor (1638-74) in dem Lied "Skulle
jag sörja ?", die dem Sextett Ranarim als Titel ihres neuen
Albums dient.
"Skulle
jag sörja ?", auf Deutsch "Soll ich mich grämen
?", das ist für Ranarim nur eine rhetorische Frage. Denn
im Gegensatz zum zögerlichen Songtitel handelt es sich bei dem
Opener um eine furiose Party-Polka. Vom "sich grämen"
keine Spur.
Ranarim,
so scheint es, lieben derartige Gegensätze. Sieht man die Band
auf dem Pressefoto, man käme sicherlich kaum auf die Idee, dass
sie sich vorzugsweise mit der musikalischen Tradition vergangener
Jahrhunderte beschäftigen. Doch genau das ist das Metier der
beiden Sängerinnen Ulrika Bodén und Sofia Sandén,
die eine aus Ångermanland in Nord-, die andere aus Dalecarlia
in Mittelschweden. Geiger Niklas Roswall stammt aus Skåne, Jens
Engelbrecht (Gitarre) und Sebastian Notini (Schlagzeug) aus Stockholm,
Anders Larsson (Kontrabass)wiederum aus Södermanland - Ranarim
sind ein gesamtschwedisches Projekt.
Der
in hellem Glanz erstrahlende, mittsommerleichte Gesang der beiden
Frauen entführt den Zuhörer selbst in die entlegendsten
Regionen des Landes, einmal sogar über die finnische Grenze,
wo sie eine aus dem Mittelalter stammende Ballade entdeckten. Die
meisten ihrer fröhlich arrangierten Polkas und Walzer, aber auch
die besinnlichen Choräle und melancholischen Balladen sind derart
historischen Ursprungs. Doch wo nur ein Text existierte, schrieb die
Gruppe selbst die Melodie dazu - oder textete neu zu instrumentalen
Weisen.
In
zwei alten Chorälen können Ulrika und Sofia ihr beträchtliches
stimmliches Können unter Beweis stellen. Andächtig und voller
Behutsamkeit besingen sie den vergehenden Tag, der sich in den Abendschatten
verliert: "Dagen ifrån oss skrider in går den mörka
natt".
Trotz
des Alters ihrer Vorlagen haben die Interpretationen von Ranarim so
gar nichts Rückwärtsgewandtes. Weder klingen sie verstaubt
noch altbacken, vielmehr wirken sie auffallend frisch und lebensfroh,
manchmal sogar regelrecht überschäumend - wie der kurze,
aber unvergleichliche schwedische Sommer.
©
Michael Frost, 10. Oktober 2003