Das
"Piccola Orchestra Avion Travel" ist in Italien die
Überraschung des Jahres. Schon zum dritten Mal gewannen die sechs
unkonventionellen Vollblutmusiker aus Caserta nämlich einen Preis
bei dem berühmten jährlich stattfindenden Pop-Festival von
San Remo.
Dennoch
ist das Orchestra weit davon entfernt, als "Schlager" abgetan
werden zu können. Das Sextett begann 1980 als vielversprechende
Rock-Formation, holte 1987 auch genau in dieser Kategorie den ersten
San Remo-Preis, veränderte dann aber zu Beginn der 90er Jahre
den Musikstil.
Fortan
widmete sich die bunte Truppe ruhigeren Canzoni, verstärkte die
folkloristischen und Jazz- Elemente und nennt seitdem vor allem Fellinis
Film-Komponisten Nino Rota und den italienischen Boogie- und Blues-Star
Paolo Conte als Vorbilder.
Als
Kultband gelten die "Avion Travel" seit ihren Alben "Opplà"
von 1993 und "Finalmente fiori" (1995). Ihre Konzerte wurden
zu Ereignissen, erst recht, als die Band mit ihrer so genannten "Mini-Oper"
"La guerra vista dalla luna" (Der Krieg vom Mond aus gesehen)
nach den Konzertsälen auch noch die Theater Italiens eroberte.
Nach
ihrem 98er Erfolg in San Remo produzierte das Orchestra mit Arto Lindsay,
der schon mit David Byrne, Caetano Veloso und Marisa Monte arbeitete,
das nächste Album: "Cirano", die erste CD der Gruppe,
die auch außerhalb Italiens, u.a. in Deutschland, veröffentlicht
wurde. Mit "Dormi & Sogna", einer Single-Auskopplung
von "Cirano" gewannen sie in San Remo erneut.
"Collezione"
umfasst nunmehr eine Auswahl der zwischen 1990 und 2000 entstandenen
Lieder. Die Titel haben, allen voran der Opener "Sentimento",
etwa dramatisches, sehr italienisches, als seien sie für das
Theater geschrieben worden. Auf jeden Fall steckt ein Potenzial darin,
das sich live vermutlich noch besser entfalten kann als auf der CD.
Die Kompositionen wechseln zwischen Jazz, Ballade und der leidenschaftlichen,
pathetisch vorgetragenen Volksweise, hier wird ein Cocktail bereitet,
wie er nur in Italien entstehen kann.
Der
Erfolg kommt immer wieder überraschend, weil sich das Orchestra
allen Klischees verweigert. Sie machen weder Rock, Jazz, Chanson,
Schlager, Folk, noch Oper, und doch von allem etwas. Die Texte, klar,
präzise und dennoch mit viel Gefühl intoniert von Sänger
Peppe Servillo, sind teils melancholische Liebeslieder, teils augenzwinkernd
philosophisch, teils bissig und ironisch mit politischem Anstrich.
Merkwürdigerweise
hat die Plattenfirma bei der Deutschland-Veröffentlichung dieser
Compilation nicht nur den Titel der CD geändert (in Italien heißt
sie "Selezione"), sondern auch einzelne Lieder ausgetauscht.
Der Grund dafür ist uns nicht bekannt, und, ehrlich gesagt, es
fällt auch bein längerem Nachdenken eigentlich kein Grund
ein, weshalb deutsche Ohren andere Lieder hören sollten als italienische.
Derlei manipulativer Unsinn ist im "gemeinsamen Haus" Europa
doch wohl entbehrlich - Machen wir uns lieber selbst ein eigenes Bild.
AG
/ 7. Oktober 2000