"3.45:
No sleep" hieß der Schlusssong auf "Long gone before
daylight", dem bislang letzten Album der Cardigans. Ungefähr
um die selbe Zeit, in der gleichen Situation muss auch er Titelsong
eines anderen Albums entstanden sein: "Think I'm up for you".
"Get used to the silence, get used waking up alone ..."
singt ein junger Norweger mit einer Stimme, die im Laufe des Albums
immer wieder erstaunliche Ähnlichkeit mit REM-Sänger Michael
Stipe annehmen wird. Doch dieser Sänger heißt Pål Angelskår,
und "Up for you & I" hat er mit seiner vielköpfigen
Band Minor Majority im Sommer 2003 in seiner norwegischen Heimat aufgenommen.
Als
Studio diente ihnen ein Ferienhaus an der schwedischen Grenze. Dorthin
zogen sie sich für eine zweiwöchige Session zurück,
um anschließend mit elf Songs nach Oslo heimzukehren, die von
ihrer Plattenfirma zu Recht als "akustische Pop-Juwelen"
bezeichnet werden.
"Up
for you & I" ist vermutlich das Album, das REM gern gemacht
hätte, es angesichts des Erwartungsdrucks von Fans und Marketing,
dem Zwang zur stadiontauglichen Musik und Radiorotation aber nicht
realisieren konnten. Denn der Sound von Minor Majority basiert auf
Ruhe, Entspannung, lauen Sommernächten und der Gewissheit, niemanden
außer sich selbst mit dem Ergebnis der Aufnahme zufrieden stellen
zu müssen. Diese Haltung gilt in der kurzlebigen Welt der Musikbranche
geradezu ein Privileg, das sich nur Bands erlauben können, die
keinem äußeren Druck unterliegen - oder aber über
ein ganz besonderes Talent verfügen.
Im
Fall von Minor Majority kommen sicherlich beide Komponenten zusammen.
In Norwegen hatten sie vor "Up for you & I" zwar bereits
zwei Alben veröffentlicht, doch eine internationale Karriere
stand zunächst nicht auf der Agenda, und die heimische Szene
ist angesichts von ca. 4 Mio. Einwohnern immer noch fast eine familiäre
Angelegenheit.
Und
so entstand in der Abgeschiedenheit norwegischer Wälder ein Album
zwischen klassischem Songwriter-Pop und Westcoast-Rock, einer Prise
Folk und Blues, skandinavischer Klarheit und kalifornischem Lebensgefühl.
Das Wechselspiel zwischen Angelskår und sich abwechselnden Backgroundsängerinnen
scheint Leonard Cohen zu zitieren. Es sind diese leisen Harmonien,
die das besondere Glücksgefühl ausmachen, das von Minor
Majority ausgeht, ihre delikaten Arrangements, immer in der perfekten
Balance zwischen Tagtraum und einer der wenigen und deshalb besonders
kostbaren Sommernächten, die zum Schlafen gehen zu schade ist.
"3.45:
No sleep" bedeutet hier, den Moment fest zu halten, den Augenblick
zu genießen, die Stille zu atmen. Vor Tagesanbruch könnte
alles vorüber sein: "Long gone before daylight".
©
Michael Frost, 23.03.2005