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Wohnung in Varese,
Herz in Chicago


Wie steht es eigentlich um die italienische Musikszene? Die Bands mit internationaler Reputation lassen sich an einer Hand abzählen. Seit der Welle des gefürchteten "Italo-Pop" und der Cantautori der 70er-Jahre gab es kaum nennenswerte Exporte aus dem Land, wo die Zitronen blühen.

Vielleicht jedoch, und der Verdacht liegt nahe, liegt dies gar nicht so sehr an den Musikern selbst, sondern an der Erwartung der großen Plattenfirmen, die Italienisches nur dann in ihren Katalog aufnehmen, wenn damit die gängigen Klischees von Vino, Sole und Amore bedient werden könnten?

So gesehen hätte Midwest schlechte Karten. Die junge Band (die Mitglieder sind im Schnitt unter 25) kommt zwar aus Varese, einer Gemeinde in der Nähe der Schweizer Grenze, doch ihr Herz, so lassen sie auf ihrer Website wissen, liege in Chicago. Entsprechend klingt ihr Sound. Wurlitzer, Banjo, Harmonium, Melltron, akustische Gitarren und Percussions kommen darauf zum Einsatz, und man hört die Begeisterung der Band für den relaxten Sound eines Will Oldham, der Beach Boys und Nick Drake - und von allem etwas.

Ihr zweites Album, das jetzt - aller Klischeewidersetzung zum Trotze - auch in Deutschland erscheint, vereint die verschiedenen amerikanischen Folkeinflüsse zu einem durchgängigen Soundkonzept, das getragen von seinen akustischen Elementen natürlich, freundlich und offen wirkt. Der Pressetext erwähnt nicht zu unrecht eine Anlehnung an den gut gelaunten Sound der Beach Boys, eine Mentalität, die Midwest tatsächlich nicht fremd ist, doch im Vergleich zu diesen Ikonen der 60er Jahre klingen die Italiener deutlich zurückhaltender. Midwest entwickeln ihre Songs weniger auf der Grundlage von Pop sondern vielmehr aus der Folktradition des Mittleren Westens (sic!) der USA.

Nach ihrem Debüt "Town and country" ist "Whatever you bring we sing" nun das zweite Album von Francesco Ferretti, Matteo Gambacorta, Paolo Grassi und Francesco Scalise. Spätestens von ihrem melancholisch-verträumten Schlusssong mit dem schönen Titel "Warmed by the coming season" und einem berückenden Wechselspiel von Gesang, Klavier und kristallklaren Streichersätzen wird man die Atmosphäre des Midwest-Sounds förmlich aufsaugen wollen, und man versteht: Die italienische Musikszene ist um Klassen besser als ihr Image. Und sie fasziniert gerade abseits der Klischees. Fortsetzung folgt hoffentlich!

© Michael Frost, 25.08.2005

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