Manchmal entstehen Bilder von selbst, ohne erkennbaren Zusammenhang. Im Fall von Inga Lühnings Album "Entfernung" ist es das Bild einer Katze, das die Atmosphäre der CD am besten beschreibt: Leise, auf Samtpfoten nähert sie sich, umstreicht einen mit weichem Fell, so lange, bis man ihr endlich volle Aufmerksamkeit schenkt.
Mit "Entfernung" verhält es sich ebenso. Zunächst bleibt die Musik im Hintergrund, betont unaufdringlich, nur einzelne Textpassagen dringen in das Bewusstsein. Und doch: Die Musik tut gut, ohne dass man es direkt merkt. Also wird man "Entfernung" häufiger hören, schließlich über Kopfhörer, und erst in diesem Moment der vollen Aufmerksamkeit hört man die ganze detailreiche Raffinesse dieser leise arrangierten Musik aus Pop, Electronica, Jazz und Chanson.
Lühning, so der offizielle Bandname, denn Namensgeberin Inga Lühning reiht sich in ihr Ensemble aus Helmuth Fass (Bass), Christian Thomé (Schlagzeug) und Mario Mammone (Gitarre) ein, entwirft einen introspektiven Sound, aus dem niemand, auch und gerade nicht die Sängerin, ausbricht. Diese gewollte Gleichförmigkeit hat etwas Einlullendes, Wärmendes und bewahrt sich dennoch immer ein Stück cooler Distanz.
Hierfür sorgen die vorsichtig eingefügten, detailverliebten Electro-Sounds, mit denen beispielsweise der Titelsong unterlegt wird: So zurückhaltend und cool kann brasilianische Bossanova klingen. Auch "In der Wucht", der vielleicht stärkste Song des Albums, funktioniert auf diese Weise.
Andere sind diesen Weg schon vor Lühning gegangen, Bebel Gilberto vor allem, auch die norwegische Electronica-Künstlerin Aggie Frost, aber auch in Deutschland finden sich Vorbilder für den Lühning-Sound, sowohl 2Raumwohnung als als auch Kitty Hoff und Nylon, das großartige Bandprojekt der Berliner Lisa Bassenge, das im vergangenen Jahr mit seinen "10 Liedern über Liebe" faszinierte.
Natürlich hat diese spannende Szene noch viel Platz für junge Talente. Wobei: Neu im Geschäft ist Lühning keineswegs, das Debütalbum erschien bereits 2002. Dass die Band sich nicht drängen ließ, passt zum Bild der Katze. Lieber noch eine Weile warten, auf leisen Pfoten weiter schleichend, das Ziel nie aus den Augen verlierend - egal wie groß die "Entfernung" noch ist.
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Michael Frost, 01.06.2008