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Extrem (und)
einfallsreich


Das schwedische Ausnahmetalent Jay-Jay Johanson wurde einem größeren Publikum in Deutschland erstmals 1998 beim SWR 3 New Pop Festival vorgestellt. Zu dem Zeitpunkt war gerade sein zweites Album „TATOO“ erschienen, mit dem er vor allem in Frankreich überraschende Erfolge feiern konnte. Trip-Hop, Drums&Beats, Bossanova, Jazz, Chanson – alte Komponenten mixte er darauf zu einem ganz neuen, unverwechselbaren Sound. 

Als größten Sänger des 20. Jahrhunderts bezeichnet Johanson die Cool Jazz-Legende Chet Baker. Dessen Einfluss auf die Musik Johansons, vor allem auf seine stimmliche Präsenz, ist auf „WHISKEY“, Johansons Debut, und „TATOO“ unverkennbar – erhält auf „POISON“ aber Gesellschaft anderer Verwandter, was bereits bei Betrachten des Covers augenfällig wird: Schriftzug und graphischer Aufbau erinnern an das 97er Album von Portishead, und auch die musikalische Nähe zu Portishead ist nicht zu überhören.

Nicht von ungefähr kam denn auch das Musik-Magazin „Rolling Stone“ in seiner Besprechung zu "Poison" darauf, man wünsche „sich schon mal, dass jemand wie Beth Gibbons (Sängerin von Portishead) das Potenzial dieser extrem einfallsreich arrangierten Stücke ausreizen würde“ (R.S. Mai 2000).

Das aber ist gar nicht notwendig, denn die aktuelle Musikszene kann vom Schlage Johansons oder Gibbons’ noch einige Künstler mehr vertragen, sind sie es doch, die dem Pop im ausgehenden Jahrhundert eine neue Richtung wiesen, die auf „POISON“ von Johanson konsequent weiter entwickelt wird – wofür man um so dankbarer ist, als Portishead sich seit Roseland NYC für eine unbefristete Schaffenspause abgemeldet haben. 

Introvertiertheit, Leiden(-schaft), selbst gelegentliche Verzweiflung sind Ausdrucksweisen, die man auch in den Liedern von Jay-Jay Johanson finden kann, und auf Poison stärker noch als auf seinen beiden früheren CDs.

Mehr noch als „WHISKEY“ und „TATOO“ ist „POISON“ eine postmoderne Trip Hop-Chanson-Sammlung geworden, deren melancholische, düstere (zum Weinen schön: „FAR AWAY“, „POISON“), aber auch existenzialistische und selbst-bewusste Grundhaltung nur gelegentlich durch elektronische Beats durchbrochen – eigentlich eher verstärkt – wird.

Videolink: "Believe in me" / Quelle: youtube

Seine Arrangement sind ein besonderes Ereignis. Sie betten die Lieder in eine ganz eigene Klang-Welt zwischen Dies- und Jenseits, im Unterschied zu Portishead bleibt Jay-Jay Johanson immer bei den Lebenden, geht nicht ganz bis an den Abgrund, sondern findet noch gerade im rechten Augenblick den Weg zurück. Er strapaziert sein Publikum nicht bis zum äußersten, sondern bietet noch genügend Raum für individuelle Träumereien, bleibt immer unterhaltend, überrascht sogar mit einem Reggae, wenngleich auch mit dem introvertiertesten Reggae, der je zu hören war.

Johanson lässt keinen Zweifel: Tragik, Traurigkeit und Melancholie, Kummer und Schmerz, Liebe und Leiden sind unverzichtbare Bestandteile menschlicher Existenz, aus denen sich für das Leben mehr Kraft ziehen lässt als aus Oberflächlichkeit und der banalen Einfältigkeit der Spaßgesellschaft.

Bewusst lebt, wer sich seinen Emotionen hingeben kann. Johanson tut das mit aller Konsequenz. 


© Michael Frost / 28. Oktober 2000

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