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Die Lieder
vom nächsten Jahr


"Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar ..." - Um die zwanzig Jahre ist es her, als Stephan Eicher mit seiner damaligen Band "Grauzone" die Neue Deutsche Welle um einen ihrer größten Hits bereicherte. Heute ist der Eisbär wieder allgegenwärtig, und zwar dank des Video-Clips zum Grönemeyer-Hit "Mensch". Vielleicht verbindet die beiden Songpoeten Eicher und Grönemeyer die gemeinsame Liebe zum Bären ? Oder ist es doch eher das jeweils außergewöhnliche Gespür für Texte, Interpretation und Harmonien, die Lust an der Musik ?

Jedenfalls haben der Bochumer und der Züricher endlich die Gelegenheit zur Zusammenarbeit genutzt. Grönemeyer lud Stephan Eicher, der in den letzten Jahren hauptsächlich in den französischsprachigen Ländern erfolgreich war, als Support zu einigen seiner Stadionkonzerte ein. Und es gibt sogar eine gemeinsame Single: "Taxi Europa" (VÖ 21.07.2003), der Titelsong zum neuen Eicher-Album. Außerdem beteiligt: der Italiener Max Gazzè. "Taxi Europa" ist der richtige Song zur richtigen Zeit: Ein gefühlvoller, leichter, wogender Sommerhit - allerdings mit deutlichen Worten, und das in drei Sprachen: Deutsch, Französisch und Italienisch - das "alte Europa" singt. Und wie !

Doch nicht nur die Single, das ganze Album überzeugt. Eicher hatte nach seinem letzten Studioalbum "Louanges" 1999, was die Arbeit am eigenen Werk anging, eine längere Pause eingelegt und statt dessen mit "Hotel S" erstmal eine schöne Best-of-Werkschau auf 2 CDs vorgelegt. Anschließend war er mit der korsischen Band "I Muvrini" auf Tour, u.a. auch in Deutschland. Im Frühjahr 2003 meldete er sich mit einem ungewöhnlichen Orchesterwerk zurück: "Monsieur N.", die Musik zum gleichnamigen Spielfilm von Antoine de Caunes über Napoleon.

Obwohl Eicher auch auf "Taxi Europa" die Linie nicht grundlegend ändert, gibt es doch einige bemerkenswerte und feinfühlige Neuerungen des Sounds. Erstmals arbeitete er mit verschiedenen Produzenten zusammen.

Diese waren allerdings klug genug, ihn nicht in ein fremdes Korsett zu sperren, sondern die Besonderheiten seines Sounds, seiner Stimme, der Texte - die wie üblich von Dichter-Freund Philippe Djian stammen - und der typischen Atmosphäre seiner Musik herauszuarbeiten. Zu den Co-Produzenten gehörte neben Dutchman Reyn und dem französischen Star-Produzenten Pierre Jaconelli auch der Held der "Nouvelle Scène" des frankophonen Pop, Benjamin Biolay.

Biolay erweitert Eichers Repertoire durch seine wiederum mit leichter Hand inszenierten Streichersätze, der ihm eigenen Dramaturgie der Songs, die auch seine eigenen Alben zu Meisterwerken machen. Dennoch drängt er sich nicht in den Vordergrund, sondern bereitet Eicher lediglich den Boden für das vielleicht beste und ausgereifteste Album seiner langen Karriere.

Die Öffnung Eichers wird auch durch die Sprachenvielfalt von "Taxi Europa" deutlich. Zum Album-Motto passend singt er erstmals seit langem nicht mehr überwiegend nur Französisch und Englisch, sondern gleich mehrere Stücke in Schwytzerdeutsch und - abgesehen vom Titelsong - endlich auch einmal wieder Hochdeutsch ("Ungenauer Schmerz").

Gleich der Albumbeginn "On nous a donné" überzeugt als frische und kraftvolle Rocknummer. Überraschend viele Songs sind lauter und schneller als in der Vergangenheit - und dennoch bleibt Eicher weiterhin ein Meister der leisen Momente. So in der Coverversion des 30 Jahre alten "Si on s'y mettait", im Pressetext als "Herzstück" des Albums angekündigt, und - ebenso wie Eichers Kompositionen - von zeitloser Gültigkeit.

"Perdre une guerre pour gagner bien d’autres choses ... L'été viendrait peut-être le 21 mai ... et mes chansons seraient de l'an prochain ... si on s'y mettait ..." heißt es darin nachdenklich: "Einen Krieg verlieren um dafür andere Dinge zu gewinnen ... Der Sommer begänne vielleicht am einundzwanzigsten Mai ... und meine Lieder wären die vom nächsten Jahr ... wenn wir nur damit anfangen würden ..."

Ein frommer Wunsch natürlich, aber immerhin: Die Lieder auf "Taxi Europa" werden auch im nächsten Jahr nichts von ihrem Zauber verloren haben. Besser kann man es eigentlich nicht machen.

© Michael Frost, 14. Juni 2003

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Benjamin Biolay, Thomas Fersen, Herbert Grönemeyer, Luca Carboni, David Gray, Damien Saez, Dominique A.

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