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Dissonant
und radikal

 


 

Der alles entscheidende Augenblick. Der Moment, in dem man erkennt, dass die gerade eingetroffene, unscheinbar wirkende CD einer unbekannten Band etwas ganz Kostbares ist, etwas Aufregendes, Bewegendes. Wieder und wieder taucht man ein in diesen fremdartigen Klang. Man kann sich kaum satt hören.
Ein solcher Schatz ist "Tripper" - jemand, der einen Ausflug unternimmt. Einen Ausflug in ein paralleles Universum, in dem nur die Musik zählt. Efterklang heißt die Band, die dieses kleine Klangwunder vollbrachte. Efterklang kommt aus Dänemark und zählt inzwischen sechs feste Mitglieder: Mads Brauer, Casper Clausen, Rasmus Stolberg, Rune Mølgaard Fonseca, Thomas Kirirath Husmer und Kristina Schjelde. Ihnen eilt der Ruf voraus, gemeinsam mit dem Videodesigner und Filmemacher Karim Ghahwagi eine einzigartige Live-Performance auf die Bühne zu bringen.

Referenzen ihres Tuns muss man nicht lang suchen. Wohl nicht ganz zufällig handelt es sich dabei um eine Art "Skandinavien-Connection". Björk, Sigur Rós und die dänischen Kollegen von Under Byen, die Norweger "Flunk" wären zu nennen, doch vor allem sollte auch das isländische Trio Múm an dieser Stelle erwähnt werden. Denn zu deren verspielten Digitalsinfonien gibt es auf "Tripper" vielleicht die größten Parallelen. Doch die Dänen gehen noch einen Schritt weiter. Ihre Angst vor Oberflächlichkeit zwingt sie immer wieder zur Unterwanderung des Harmoniegefühls ihrer Zuhörer, und genau dieser Aspekt macht "Tripper" zu einer der aufregendsten Neuerscheinungen des Jahres.

So sollen Wirre, verstörende digitale Soundspielereien gleich zu Beginn des Albums Unruhe schaffen. Es klingt, als wäre der Laser des CD-Spielers falsch justiert, oder als drückte jemand permanent den Suchvorlauf. Das Harmoniegefühl des Zuhörers wird unterschwellig, aber gezielt sabotiert. Niemand, so die Botschaft, möge dieses Album als gefällige Hintergrundmusik missverstehen. Der kritische Blick zum Abspielgerät ist gewollt: Überspringst du noch oder singst du schon?

Dabei klingt hier mehr als nur ein wenig von Björks introspektivem Album "Vespertine" nach. Gerade die ersten Titel "Foetus" und "Swarming" arbeiten mit einigen Strukturelementen, die auch Vespertine veredelten: Streichinstrumente, digitales Flimmern und Rauschen - wie aus den Soundcomputern von Opiate, entrückt-sakraler Chorgesang. Auch "Tripper" bedient sich eines grönländischen Frauenchors, und für den eisigen Klang der Geigen sind zwei Musikerinnen des isländischen Amina-Ensembles - berühmt durch seine Zusammenarbeit mit Sigur Rós - und Heriblandt Nils Grøndal (Under Byen) verantwortlich. Insgeamt beteiligte das dänische Sextett vierunddreißig Gastmusiker an seiner ersten Produktion - ein durchaus kalkulierter Widerspruch.

Denn trotz der vielen Beteiligten wirken die Lieder menschenleer. In Wahrheit also hat "Tripper" so wenig von der anheimelnden, umgarnenden Atmosphäre von "Vespertine". Es beschreibt Gefühle und Landschaften voller Ursprünglichkeit, roh, ungezähmt und aufgewühlt. Die feierlichen Chorstimmen, die weinenden Geigen, sonst Zutaten von Sentimentalität und Romantik - unter der Regie der sechs Dänen, ihren digitalen Tricks und allen Konventionen trotzenden Arrangements kehrt sich das Innerste der Kompositionen nach außen, wird zerlegt, seziert und neu zusammengesetzt - bis jeder Bestandteil ungefähr das Gegenteil dessen bewirkt, für das er seit jeher eingesetzt wurde.

"Tripper" ist ein Album voller Brüche - ein unerklärtes Konzeptalbum, bewusst widersprüchlich, dissonant, radikal und deshalb Weg weisend in seiner Umsetzung.


© Michael Frost, 23. Oktober 2004


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