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Gespür für Zeitlosigkeit


Um sich diesem Album zu nähern, gilt es, zuvor zwei Hürden zu überwinden. Erstens: die spürbare und offenbar gewollte Nähe zum Soul einer Amy Winehouse, und zweitens: den Namen der Sängerin selbst. "Duffy", das war bislang ein liebenswerte, aber beschränkte Ente in Zeichentrickserien.

Hat man diese Assoziationen jedoch hinter sich gelassen, steht der Entdeckung eines bemerkenswerten Debüts nichts mehr im Wege. "Rockferry" sorgt in Großbritannien, Duffys Heimat, bereits für einige Furore, weil das Album gekonnt mit einer brillanten Mixtur aus Pop, Soul und Bigband-Jazz spielt, das Great American Songbook zitiert und dabei ebenso erfrischend und unverbraucht klingt wie das ungewöhnliche Timbre einer Stimme, der man ihre Jugend ebenso anhört wie das Vermögen einer röhrenden Soul-Diva. Dabei wird es nicht bleiben: das Amsterdamer "Paradiso" und der legendäre "Bataclan" in Paris sind bereits gebucht, und auch in Deutschland wird Duffy erstmals auftreten.

Duffy, so kolportiert ihr Produzent Bernard Butler, sei in der Abgeschiedenheit von Wales aufgewachsen, "ohne Konzepte davon, was gerade cool oder angesagt war". So habe sie sich ein Gespür für Zeitlosigkeit aneignen können, dass ihr heute vielleicht hilft, sich nicht in das enge Korsett von Trends und Moden einzuschnüren.

Und wirklich: Schon der Opener "Rockferry" ist ein ungewöhnlich mutiger Einstieg, verzichtet er doch völlig auf Strophen und Refrain, sondern entwickelt eine ganz eigene Struktur und eine intensive Atmosphäre, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Album zieht.

Duffy schafft den Spagat zwischen jazziger Ballade ("Syrup & Honey"), in der sie die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten ausloten kann, und der ganz großen, von Streicher begleiteten Geste des Cinemascope-Sounds ("Stepping stone"). Soulpop vom Allerfeinsten bietet auch ihre Single-Auskopplung "Mercy".

Solchermaßen im Grenzbereich zwischen Pop, Funk, Soul und Barjazz angesiedelt erinnert Duffy mit ihrem flirrenden Sound heute an eine Kollegin, die in den 80er und 90er Jahre große Erfolge feiern konnte: Carmel ("Sally", "Bad day", "You can have him"). Mit ihr teilt Duffy die vielseitigen Facetten ihrer stimmlichen Fähigkeiten und die Begeisterung für verrauchte Jazzkeller, den Soulpop der 60er, aber auch breit angelegten Bigband-Sound.

In dieser Hinsicht lässt sie es zum Album-Ende richtig krachen: "Distant dreamer" klingt wie die das Zitat einer Pophymne aus der Zeit, als der Eurovision Song Contest noch "Grand Prix Eurovision de la Chanson" hieß, dramatische Interpretinnen in langen Kleidern auftraten, von symphonischen Orchestern begleitet wurden und mit großen Gesten noch größere Emotionen zelebrierten.

Wie es ihr gelingt, diesen angestaubten Sound so modern und frisch klingen zu lassen, bleibt rätselhaft. Vielleicht ist es die entwaffnende Selbstverständlichkeit, mit der sie das Arsenal an Instrumenten einsetzt: Gitarren, Drumas, Glockenspiel, Bläser und Streicher in bombastischen Ausmaßen, die fast vergessen machen, dass es sich hierbei um das 2008 veröffentlichte Debütalbum einer 23 Jahre jungen Waliserin handelt.

Ach ja: An Amy Winehouse und Duffy, die Ente, haben Sie bis zu diesem Zeitpunkt sowieso schon längst nicht mehr gedacht.

© Michael Frost, 06.04.2008

 


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