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"Der Olivenbaum
wird wachsen"


Sagen wir es ruhig einmal offen: Der italienischen Musikszene geht es nicht gut. Mag sein, dass es im Land selbst keinen Nachwuchsmangel gibt, doch auf internationaler Ebene ist bislang kein Nachfolger aufgetaucht, der in die Fußstapfen von Branduardi, Nannini, Conte und Ramazzotti treten könnte, um nur die wichtigsten Interpreten verschiedener Genres zu nennen.

Wo neue Kräfte fehlen, müssen die "Veteranen" die Lücken füllen. Nicht allen gelingt diese Arbeit dabei mit vergleichbarer Überzeugungskraft wie dem Neapolitaner Pino Daniele. Gesegnet mit einer der charismatischsten Stimmen südlich der Alpen, verstand Daniele es immer wieder, das Publikum mit seiner unverwechselbaren Mischung aus Canzone, Jazz, Pop und neapolitanischen Volksweisen zu begeistern. In Italien ist er längst einer der ganz großen Namen, in Deutschland reichte es immerhin für den Status des "Geheimtipps". Daniele ist keiner, mit dem Ristorante- und Gelateria-Inhaber ihre Gasträume beschallen würden; seine Gratwanderungen zwischen Anspruch und Unterhaltung taugen nicht für den Hintergrund, und sie widersetzen sich gängigen Italien-Klischees.

Diese Aussage gilt besonders, und vermutlich mehr als jemals zuvor in der über 25-jährigen Karriere von Pino Daniele, für sein neues Album "Passi d'Autore". Am Anfang steht sakraler Chorgesang des Rinascimento. "Arriverà l'aurora" ist ein programmatischer Titel mit politischen Anspielungen: "L'ulivo crescerà" heißt es darin - der Olivenbaum wird wachsen. Unter diesem Symbol versammelt sich seit einigen Jahren das Bündnis linker Oppositionsparteien gegen den von Silvio Berlusconi geführten rechten Regierungsblock.

Der Chorgesang des "Pino Daniele Ensemble" mit Sopran-, Alt-, Tenor- und Baritonstimmen durchbricht die Struktur von "Passi d'autore" gleich an mehreren Stellen und sorgt für feierliche Atmosphäre. Pino Daniele, der "Passi d'autore" unter dem Namen "Pino Daniele Project" herausbringt, unterstreicht durch die Benennung den experimentellen Charakter dieses außergewöhnlichen Albums, in dessen Mittelpunkt neben ihm selbst das Peter Erskine Trio steht (Erskine: Schlagzeug, Percussions; Alan Pasqua: Piano, Keyboard; Dave Carpenter: Kontrabass).

Gemeinsam wandeln sie auf den Spuren des Jazz eines Django Reinhardt, dem sie das Lied "Nuages sulle note" widmen, spielen mit Einflüssen aus Blues, Rumba, Tango und anderen Latin-Sounds, doch schließlich finden sie immer zu ihrem entspannt und spielerisch wirkenden Jazz-Sound zurück.

Politik ist nicht Danieles einziges Thema, doch im Titel "Isola grande" kommt er noch einmal darauf zurück. Umspielt von mitreißendem Latin-Jazz gedenkt Daniele "Ernesto" (Che Guevara), um ebenso ironisierend wie trotzig anzufügen: "Non c'è niente più noioso di un nostalgico di sinistra ... come me" (Es gibt nichts langweiligeres als einen Nostalgiker der Linken ... wie mich).

Daneben befasst er sich mit einem der großen Helden seiner Heimatstadt Neapel: Diego Maradona. Der argentinische Fußballer schoss den SSC Neapel in den 80er Jahren zur italienischen Meisterschaft. Seitdem gilt er als einer der größten Helden der Lokalgeschichte. Doch Pino Daniele holt den Fußballgott auf den Boden der Tatsachen zurück: "Lui è un mago con il pallone ... ma la partita più importante è da giocare con la vita ..." (Er ist ein Zauberer mit dem Ball ... aber die wichtigste Partie ist ist das Spiel mit dem Leben) heißt es in Anspielung auf Maradonas Skandale und Lebenskrisen.

Von ähnlichen Problemen ist Pino Daniele weit entfernt. Er genießt das Leben inmitten seiner Familie ("La mia casa sei tu"), erlaubt sich künstlerische Freiheit und lässt sich von Moden und Trends nicht beirren, bleibt also stets er selbst und erneuert sich dennoch. Vielleicht hat der Nachwuchs in Italien bloß deshalb keine Chance, weil die Strahlkraft der Großen einfach nicht nachlässt?

© Michael Frost, 16.05.2004

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