These:
The Cure sind die beste Liveband der Welt. Argument: In ihren regelmäßig
2 1/2-stündigen Livesets gibt es puren Rock, dunkel und schwer,
Ballast und Balsam gleichermaßen für die gestresste Seele.
Man wird geschüttelt und gerührt, und am Ende wird man mit
Endlosversionen hypnotischer Songs mit bedeutungsschwangeren Titeln
wie "Faith" in Grund und Boden gespielt. Beispiel: die DVD
"Cure Festival 2005", zusammengeschnitten aus neun verschiedenen
Auftritten zwischen Benicassim (Spanien) und Istanbul, die aber dennoch
ein exaktes Abbild eines ganz und gar typischen Cure-Auftritts ist.
Selbst
die "Dark Trilogy", die Live-Einspielung dreier (!) Alben
an einem Abend im Berliner Tempodrom, die 2002 auf DVD erschien, kommt
in Punkto Intensität und Dramatik nicht an die Atmosphäre
heran, die The Cure sonst auf Tour entfalten. Unter konsequenter Aussparung
fast sämtlicher Charthits - von denen es ja immerhin auch einige
gibt - reihen Bandleader Robert Smith und seine ständig wechselnde
Besetzung in aller Regel nur die düstersten und krachendsten
Songs ihrer nunmehr bald 30-jährigen Bandkarriere aneinander.
Die
sonore Stimme des Sänger mit den noch immer kajal-umrandeten
Augen, seine krachende Gitarre und die Bassläufe des in Fankreisen
nicht minder legendären Simon Gallup bilden die Grundlage des
unverwechselbaren Cure-Sounds, der immer an der Grenze zwischen Rock,
Pop und Darkwave wandelt, seinen Schwerpunkt immer wieder variiert
und auch vom Mainstream-Publikum anerkannt wird, ohne jemals selbst
Mainstream geworden zu sein.
2005
feierte die Band einen erneuten Personalwechsel. Perry Bamonte (Gitarre)
und Keyboarder Roger O'Donnell verließen die Band. Für
sie kehrte Gitarrist Porl Thompson, der die Band 1976 gemeinsam mit
Smith und zwei weiteren Musikern gegründet hatte, zurück.
Seitdem agieren The Cure als Quartett in klassischer Gitarrenrock-Besetzung,
einen neuen Keyboarder engagierten sie nicht. Dem Sound tut dies überraschenderweise
keinen Abbruch. Ohne die sphärischen Hintergrundpassagen klingen
The Cure im Jahr 2005 nochmals direkter, ungefiltert, tough und robust.
Fans
dürften begeistert sein, endlich einmal ein vollständiges
Konzert in optimaler Soundqualität (die Zahl der Bootlegs dürfte
nahezu unerreicht sein) nicht nur hören, sondern dank des DVD-Formats
auch sehen zu können. Auch wenn auf der Bühne eigentlich
nichts Besonderes passiert: The Cure zelebrieren keine 'schwarzen
Messen', entsprechen also gar nicht dem Bild, das viele von ihnen
haben, doch eine Showband sind sie auch nicht: kein Posing, kein Gerenne
und Getanze, es gibt weder Stagediving noch zertrümmerte Gitarren.
Tatsächlich
kommt Robert Smith kaum mehr als ein vorsichtiges "Thank You"
(wahlweise "Merci" für die Fans in Frankreich und der
Schweiz) über die Lippen, sonstige Ansagen oder aufputschende
Appelle ans Publikum sind sowieso nicht sein Ding.
Musik
sagt eben mehr als tausend Worte, und nach 30(!) Songs aus dreißig
Jahren, darunter kein einziger in der Studiofassung, dafür viele
als "Extended version", ist man selbst vom Zusehen erschöpft,
aber auch geläutert, vielleicht sogar ein wenig von den Alltagssorgen
geheilt - durch The Cure, die beste Live-Band der Welt.
©
Michael Frost, 30. November 2006