Wenn
seine Plattenfirma nun "The essential Leonard Cohen" veröffentlicht,
mithin den umfassenden Anspruch einer Werkschau erhebt, dann ist dieses
Projekt ein kaum zu bewältigendes Unterfangen.
Denn
es ist fast unmöglich, die seit 1967 andauernde Gesangskarriere
Leonard Cohens zur allgemeinen Zufriedenheit so zu komprimieren, dass
sie schließlich auf eine CD passt. Und das vorliegende Doppelalbum
mit seinen immerhin 31 Titeln ist wahrscheinlich das absolute Minimum
des Rahmens, in dem das Werk des Songpoeten darstellbar erscheint.
Andererseits
überrascht es angesichts der jahrzehntelangen Präsenz, ja
fast Allgegenwärtigkeit von Leonard Cohen und seines Einflusses
auf nachfolgende Generationen von Musikern, dass er in den 35 Jahren
lediglich zehn Studioalben veröffentlicht hat. Andere Bands bringen
es über den gleichen Zeitraum durchaus schon einmal auf die doppelte
Menge. Doch Cohen ist ein Perfektionist, dem Qualität schon immer
deutlich wichtiger war als Quantität. Vielleicht ist es die Schriftsteller-Seele
in ihm, die sein Tempo bestimmt.
Denn
als Lyriker und Romancier begann er seine Karriere in den 50er Jahren,
und bis heute ist er Autor geblieben, Autor seiner Liedtexte, den
wichtigsten Bestandteilen seiner Musik. Mit seiner unvergleichlich
dunklen Stimme, in der sich Melancholie und Abgrund die Hand reichen,
den traurigen Geschichten und den wehmütigen Melodien erspielte
er sich den Titel des "schwarzen Romantikers" (Pop-Lexikon).
Es
gibt wohl kaum jemanden in Westeuropa oder Nordamerika, dem seine
All-Time-Klassiker "Suzanne" und "So long Marianne"
nicht wenigstens einmal begegnet wären. Generationen von Gitarrenschülern
seit der Hippie-Ära quälten sich ab, "Suzanne"
in adäquater Form nachzuspielen, doch selbst wenn die technischen
Fähigkeiten reichen, dann scheitert es spätestens am Gesang:
Weder Stimmlage, -führung noch Betonung sind kopierbar. Das bekamen
auch schon professionelle Kollegen zu spüren, die sich 1991 mit
dem Tribute-Album ("I'm your fan") als begeisterte Anhänger
Cohens outeten: Nick Cave etwa, John Cage oder REM.
Auf
einige der Songs hat sich im Laufe der Jahre zwangsläufig etwas
Patina gelegt. Doch Cohen hat sie trotzdem in ihren ursprünglichen
Fassungen belassen - so, wie sie noch in Generationen bekannt sein
werden.
Doch
vor allem für solche Cohen-Interessierten, die überwiegend
nur die frühen Songs des Altmeisters kennen, bietet "The
essential" manche Überraschung, darunter beispielsweise
vier Titel seines jüngsten Studioalbums "Ten songs"
(2000), das aufgrund des großen Publikumsinteresses und der
positiven Kritiken eine Art "Leonard Cohen-Revival" einläutete.
Diese
Lieder runden eine Karriere ab, die sich stets leise, aber kontinuierlich
und ohne große Brüche vollzog und auch ohne regelmäßige
Charterfolge funktionierte. Doch
einen Klassiker erkennt man nicht an der Zahl seiner Nr. 1-Hits, sondern
an der Zahl derer, die ihn als Vorbild der eigenen Karriere benennen.
Und im Falle Leonard Cohens sind das unzählige.
©
Michael Frost, 9.11.2002