Es
wäre allzu einfach, Ólafur Arnalds Album "Eulogy for
evolution" als musikalische Landschaftsbeschreibung Islands abzutun
- die Zuschreibung, dass jeder Isländer praktisch unablässig
seine Heimat vertone, ist inzwischen ein beliebtes Klischee, das nicht
jedem Künstler gerecht wird.
Denn
wenn es wahr ist, dass Arnalds die Natur nachempfindet, dann muss
sein Island eine komplett andere Insel sein als jene Insel, die wir
auf so großartige Weise in den Postrock-Symphonien von Sigur
Rós lieben lernten. Denn während die Band mit schroffer,
oft unwirtlicher und verstörend wirkender Klangästhetik
arbeitet, beschreibt Ólafur Arnalds auf "Eulogy for evolution"
vor allem Stille, Sanftheit und Melancholie. Sein leises Piano, dem
er manchmal in fast unendlicher Langsamkeit immer nur einzelne Töne
entlockt, fügt sich nur im Zeitlupentempo zu einem Ganzen, verbunden
durch ein sinnliches Streichquartett, das zarte Linien in die Stille
zieht, als könnte jeder zu laute Ton die Magie des Augenblicks
zerstören.
Ólafur
Arnalds lässt seine Stücke unbetitelt, er benennt sie lediglich
nach der Spielzeit der CD. In "33.26" etwa hat die Geigensolistin
Greta Salome einen glanzvollen Auftritt. Bei ihr erhebt sich die Geige
zu einem furiosen Intermezzo, wie ein Blitzstrahl durchzuckt der Klang
des Instruments die meditative Stille, die sich nunmehr, zum Albumende
nur als Ruhe vor dem Sturm entpuppt. Arnalds löst die geheimnisvolle
Spannung im letzten Stück von "Eulogy for evolution"
mit donnernden Schlussakkorden von E-Gitarre, Geigen und Schlagzeug;
ein Moment, der an die finnischen Kollegen von Apocalyptica erinnert
und damit erneut die Frage aufwirft, ob Arnalds nun ein klassischer
Komponist sei oder doch eher Independent-Musiker oder beides oder
gar nichts von alledem.
Die
Antwort ist unerheblich. Jemand wie Ólafur Arnalds, der übrigens
erst zwanzig Jahre jung ist, hat noch viele Experimente und musikalische
Häutungen vor sich. Schon heute reicht seine Spannbreite von
den introspektiven Pianoetüden von "Eulogy for evolution"
bis zum Hardcore-Rock von gleich drei isländischen Bands, für
die der Multi-Instrumentalist unter anderem aufs Schlagzeug eindrischt.
Nichts von alledem, so die herausfordernde Erkenntnis für Rezensenten
und Publikum, taugt zur klischeehaften Darstellung.
©
Michael Frost, 10.11.2007