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Wehklagend
singender Schmelz

von Hans Happel


"Wir lieben es, unsere Instrumente zu mißhandeln, unsere einstigen Lehrer wären bei diesem Anblick zweifellos nicht sehr glücklich." Paavo Lötjönen gehört zu den drei Cello-Virtuosen der finnischen Heavy-Metal-Band APOCALYPTICA, aber ihre einstigen Lehrer müssen sich keine Sorgen machen: Wer die vom Quartett zum Trio mutierte Gruppe auf der Bühne gesehen hat, weiß, dass sie mit ihren Instrumenten so gnadenlos vorsichtig umgehen, wie Musiker eines philharmonischen Orchesters, auch wenn die Performance provozierend anders ist:

Da sitzen virtuose Musiker mit nackten Oberkörpern hinter ihren Instrumenten, die in einer hinreißenden Choreografie wild ihre langen Haare schütteln, gelegentlich aufstehen, hin und hergehen, die die Posen schwerer Heavy-Metal-Jungs nachmachen, aber ihren Celli nichts Böses antun: Die klassisch akademisch ausgebildeten Musiker, die 1996 mit Cover-Versionen der kalifornischen Metal-Band METALLICA schlagartig von sich reden machten, zeigen schon im Booklet ihrer in diesem Frühjahr erschienenen CD "Reflections", wohin die Reise geht.

Ihr Instrument - das Cello - ist auf dem Cover-Foto der nackte Rücken einer jungen Frau, die Umrisse des menschlichen und des musikalischen Körpers ähneln sich. Die schöne Nackte sitzt in einer vom Abenddunkel geprägten weiten Wiesen-Landschaft, am Horizont die Silhouette eines Waldes, am Himmel wenige Wolken.

Kitsch, so der erste Eindruck, weit entfernt vom Totenkopf-Cover der vor drei Jahren erschienen CD "Cult". Mit den Cello-Arrangements von Songs ihrer Lieblingsband haben Apocalyptica die tiefromantischen Seiten aus der Heavy-Metal-Musik herausgeschält, die in weiten - häufig unisono gespielten - Melodiebögen und mit aggressiv gestrichenen Ostinati-Riffs eine ganz eigene Schönheit entfaltet.

Schon in "Cult" gehen sie mit Eigenkompositionen darüber hinaus, beziehen sich neben Metallica auf Edvard Griegs "Peer-Gynt"-Suite, und mit "Reflections" wollen sie endgültig keine Coverband mehr sein. Eicca Toppinen hat die meisten der 13 Stücke komponiert, Perttu Kivilaakso, mit 24 Jahren jüngstes Bandmitglied, steuert drei Titel bei.

Alle Nummern werden sind vom Schlagzeug unterlegt, und da ragt der rasend hammerharte Beat des ehemaligen Slayer-Drummers Dave Lombardo heraus, der für einige der Aufnahmen gewonnen werden konnte. Er sorgt dafür, dass die elegisch weiten und weichen Melodien nicht ins Kitschige abgleiten.

Die drei Cellisten sind veliebt in einen wehklagend singenden Schmelz, sie entwickeln auf ihren - im warmen, vollen Ton gespielten - Instrumenten eine geradezu süffige Schönheit, deren Pathos an die nationalromantische Musik des 19. Jahrhunderts erinnert. Sie lassen sich ausdrücklich inspirieren vom Charakter der heimischen Natur, Perttu Kivilaakso spricht von den "tiefdunklen Wäldern, der unglaublichen Weite und Größe Lapplands, der Stille, den wunderschönen Seen."

Der Song "Cohkka" ist schon im Titel einem samisch benannten Berg gewidmet. Soviel folkloristischer Schmelz kann leicht die Grenzen zum Kitsch streifen. Und mindestens in einem Fall werden sie überschritten: In dem balladenhaften - Klavier begleiteten - Song "Faraway" sind allen Tränen Tür und Tor geöffnet, das könnte auch Celin Dion nicht besser machen. Hier entwickeln sich die heftigen Jungs zur niedlichen Boygroup, die nach einem Nr. -One-Hit ruft.

Droht aus dem gefeierten "Cello-Gewitter" ein sanftes Cello-Geflüster zu werden? Apocalyptica beschwören keineswegs den Weltuntergang, sie predigen eher die Auferstehung aus dem Geist einer meditativen und religiös grundierten Musik, wie es nicht nur der Titel "Resurrection" andeutet, sondern besonders eindringlich das Schlußstück "Epilogue", eine Musik zur Bühnenbearbeitung von Dostojewskis "Schuld und Sühne".

In diesem für mich schönsten Stück des Albums nähern sie sich den Klangfarben des Meisters der modernen religiösen Musik: Arvo Pärt. Vom dunklen Hardrock zu harmonischen Sphärenklängen, von Metallica zu Arvo Pärt - da scheint es Verbindungen zu geben. In Ihrem radikalen Ernst, in ihrem Bestehen auf Glaubwürdigkeit sind sie vergleichbar.

Apocalyptica müssen aufpassen, dass sie sich nicht in der Fülle des immergleichen Wohlklangs verlieren, aber solange sie auf der Bühne stehen und wilde Konzerte geben, bei denen das "Fight Fire with Fire" zum Programm gehört, sind sie davor gefeit.

© Hans Happel, 26. Juli 2003


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