Die
Regel besagt, dass Bands, die nicht aus England oder Amerika stammen,
nur schwerlich Zugang zum internationalen Musikmarkt finden. Das gilt,
Abba, A-ha und den Cardigans zum Trotze, auch heute noch für Bands
aus Skandinavien. Vielleicht mit einer Ausnahme, und die ist ebenso
unerklärlich wie die Musik dieser Band: Amstrong.
Das
Quartett aus Kopenhagen veröffentlichte 1998 sein Debüt
"Sprinkler". Schon damals stießen die Dänen auf
ungewöhnlich große Beachtung, etwa bei den Rezensenten
von "Visions": "Man weiss nicht genau, woher die Musik
eigentlich kommt, aber man ist glücklich, dass sie da ist."
2001, mit dem zweiten Album "Hot Water Music" wiederholte
sich das Phänomen: "Velvet Underground würden 2001
genau so klingen" schrieb das österreichische Magazin musicselect,
und die "notes" erkoren Amstrong-Sängerin Marie-Louise
Munck zu "einer der schönsten Frauenstimmen überhaupt".
Was
als Triphop begann, wurde inzwischen zu "Alternative Rock"
(Selbstbezeichnung) erweitert. Amstrong arbeiten mit frappierend einfacher
Songarchitektur, die erst durch die kluge und sehr raffiniert wirkende
Verschachtelung von analogen und digitalen Elementen zu komplexer
Gegenständlichkeit gelangt. Wenn dann das kühle Timbre von
Marie-Louise Munck dazu kommt, formt sich daraus ein Sound, der in
Beschreibungen gern mit dem Attribut "post" versehen wird:
Post-Pop, Post-Rock, postmodern oder gar postapokalyptisch.
Amstrong
(der Bandname leitet sich einerseits von Neil Armstrong ab, ist andererseits
aber auch ein Wortspiel: "I am strong") benutzen folglich
die Regeln von Pop und Rock als Ausgangspunkt für ihre eigenen
Klangideen. Das Ergebnis ist beileibe keine Revolution, tatsächlich
noch nicht einmal sonderlich radikal, aber ein atmosphärisch
stimmiges und hintergründig wirkendes Spiel mit den Elementen
(post-)moderner Musik, wie sie in den 90er Jahren von Bands wie Portishead
geprägt wurden.
Ihr
aktuelles Album "Lack of you" perfektioniert den Grundgedanken
des Amstrong-Sounds. Die Band machte sich für die Aufnahmen auf
den Weg in die USA, um die neuen Songs dort gemeinsam mit Malcolm
Burn, dem Produzenten des Emmylou Harris-Album "Red dirt girl",
fertigzustellen. "Lack of you" ist deshalb zwar längst
kein Country-Album geworden, aber die Weite mancher Soundlandschaft
ist unverkennbar ("That's what I've kept"). Dagegen könnte
der Schluss- und Titelsong auch aus der Feder von Sigur Rós
stammen, Amstrong entwickeln hier eine düstere, kühle Klangfantasie,
die vom getragenen Gesang Marie-Louise Muncks nur noch verstärkt
wird: es ist der Gipfel eines an Höhepunkten nicht eben armen
Albums, das bereits mit dem Opener "To be kind" einen Spannungsbogen
aufbaut, der im weiteren Lauf verdichtet und verstärkt wird (drängend:
"Love is the winner", episch: "Waiting for a song"
...).
"Das
Album gehört in jeden Plattenschrank" befand jüngst
der Rezensent von jazzdimensions, und dem ist an sich nichts hinzuzufügen.
Außer
dem Hinweis auf den ungewöhnlichen Coup, der Amstrong mit "Lack
of you" bereits gelang: Das Album fand nämlich nicht, wie
sonst üblich, erst mit monatelanger Verzögerung den Weg
in den internationalen Handel - im Gegenteil: In Deutschland ist es
bereits seit August erhältlich, während die Dänen sich
noch bis Anfang November in Geduld üben müssen. Aber, liebe
Dänen, soviel kann man sagen: Det er umagen værd at vente!
©
Michael Frost, 28.09.2005