"Auch in Frankreich wird nach Superstars gesucht
und gecastet wie der Teufel
..."
CD-KRITIK.DE im Gespräch mit den Machern der "Le Pop"-Compilations



Seit einigen Jahren verspürt die französische Musikszene Auftrieb. Allen Casting-Shows zum Trotz überraschen junge Nachwuchskünstler immer wieder durch hohes Niveau und kreatives Potenzial. Über die "Nouvelle Scène" und ihren Erfolg im In- und Ausland sprach Michael Frost mit Rolf Witteler, einem der beiden 'Erfinder' der "Le Pop"-Compilations mit neuen französischen Chansons. Nach dem großen Erfolg des ersten Samplers, der im Herbst 2002 erschien, ist seit einigen Wochen eine nicht weniger hochwertige Fortsetzung im Handel.



Brachte den Stein ins Rollen: "Amélie"-Komponist Yann Tiersen


Brachte es bis auf die Titelseiten:
Françoiz Breut

CD-Kritik.de: Ausgelöst durch Yann Tiersens "Amélie"-Soundtrack und die Compilation "Le Pop" gibt es wieder ein reges Interesse für französische Musik in Deutschland. Sind Sie von der großen Resonanz auf "Le Pop 1" überrascht ?

Rolf Witteler:
Ja und nein. Wir hatten zwar an das musikalische Potenzial der Nouvelle Scène geglaubt und auf einen kleinen Indie-Erfolg gehofft, was daraus wurde hat uns jedoch trotzdem beeindruckt. Spätestens als Françoiz Breut auf der Titelseite der TAZ auftauchte, war uns die Dimension dieser Welle bewusst. Man kann das dadurch erklären, dass es in Deutschland einerseits ein großes Interesse am kulturellen Geschehen der "Grande Nation" gibt, es aber auch andererseits immer wieder Popproduktionen gibt, die durch Qualität ein Publikum erreichen. Ich denke da an den Erfolg von Bands wie Calexico oder Belle & Sebastian und schätze, dass die Le Pop-Compilations eine ähnliche Hörerschaft haben.


CD-Kritik.de: Sie betonen, Ihre Zusammenstellung beruhe auf der Sicht "von außen". Welchen Stellenwert hat die von Ihnen vorgestellte "Nouvelle Scène" in Frankreich selbst - im Verhältnis zu den traditionellen Chansonniers und internationalem Pop/Rock ?

Rolf Witteler: Das lässt sich nicht so einfach beantworten, weil unsere Auswahl eine subjektive Komponente hat und der Erfolg der einzelnen Künstler in Frankreich für uns eine untergeordnete Rolle spielt. Zwei Beispiele: Vincent Delerm, der auf Le Pop 2 ein wunderbares Duett mit Irène Jacob singt, hat von seinem Debut-Album mehr als 300.000 Einheiten verkauft. Toog dagegen, der auf beiden Samplern vertreten ist, ist wirklich nur für ein paar Spezialisten ein Name. Bei meinen Frankreich-Besuchen mache ich immer wieder die Erfahrung, dass sich viele Franzosen selbst gar nicht darüber im Klaren sind, was sie da haben. Es handelt sich dabei um eine Szene, die langsam und stetig wächst. Dominique A betont immer wieder dass die "Nouvelle Scène" ja eigentlich gar nicht mehr so neu ist und er hat recht. Die ersten wegweisenden Platten erschienen 1992. Kein Vergleich etwa mit der "Neuen Deutschen Welle" die ja sehr schnell gewachsen ist und genauso schnell wieder verschwand. Der Ruhm von etwa Benjamin Biolay hält sicher noch nicht den Vergleich mit Brel oder Gainsbourg stand und auch im täglichen Radio hat es das Néo-Chanson doch noch sehr schwer. Heute ist die Situation aber weitaus besser als noch vor 4, 5 Jahren.


Begründer der Nouvelle Scène:
Dominique A.



"Viele Franzosen sind sich gar nicht im Klaren, was sie da haben": Toog



Auf dem Weg zum Ruhm:
Benjamin Biolay


CD-Kritik.de:
Was waren Ihre Kriterien für die Auswahl der Titel für "Le Pop 2" ?

Rolf Witteler: Erstens: Das Stück musste uns beiden - also Oliver Fröschke und mir - gefallen und sollte französisch sein. Zweitens: Es musste zu den anderen Stücken passen. Ausserdem sollten sie möglichst neu sein, weil unser Anliegen mit Le Pop 2 war nicht einfach eine Wiederholung des ersten Teils zu machen, sondern auf die neuen Entwicklungen des Néo-Chanson hinzuweisen. Wir hatten dabei immer im Hinterkopf, dass wir auch Themen vermeiden, die sich der potenzielle Le Pop-Käufer schon zugelegt hat, wie etwa die letzte Benjamin Biolay. Mich hat das als Kunde immer geärgert, wenn sich Titel in meiner Plattensammlung durch Veröffentlichungspolitk mehrfach wiederholen. Unter diesen Voraussetzungen haben wir dann noch darauf geachtet, dass sich aus der Auswahl eine schöne Reihenfolge ergibt, die als Album funktioniert.

CD-Kritik.de: Im Vergleich zur deutschen Musikszene, die hauptsächlich nur noch auf "Superstar"-Suche zu sein scheint, beeindruckt die Nouvelle Scène in Frankreich durch stilistische Vielfalt und künstlerische Qualität. An kreativem Nachwuchs besteht, wie auf "Le Pop 2" zu hören ist, offenkundig kein Mangel. Was läuft in Frankreich anders als in Deutschland ?

Rolf Witteler: Eins ist sicher: an der Radio-Quote, wie so viele behaupten, kann es nicht liegen. Wir haben noch keinen Künstler durch das französische Radio entdeckt, obwohl wir beide regelmäßige Frankreichfahrer sind. Auch in Frankreich wird nach Superstars gesucht und gecastet wie der Teufel, wodurch natürlich keine Qualität entsteht. Auch wenn ich einige neue Sachen aus Deutschland gut finde, würde ich aber Ihrer Einschätzung recht geben.


Jäger und Sammler der "Nouvelle Scène":
Rolf Witteler und Oliver Fröschke,
die Macher von "Le Pop"




Bald in Deutschland ? - Jérome Minière ...



... und Matthieu Boogaerts

Die eigentlichen Gründe dafür liegen zum einen an der musikalischen Tradition und an einer wirklich guten musikalischen Ausbildung in Frankreich. Man merkt, dass man sich des Erbes von Gainsbourg, Polnareff oder Ferré bewusst ist, gleichzeitig ist man aber auch fähig, das auf erfrischende Weise neu umzusetzen. Der Einfluss anglo-amerikanischer Popmusik ist zwar durchaus da, trotzdem versucht man dort etwas eigenes mit diesen Einflüssen zu schaffen und kann es auch.

CD-Kritik.de: Für die Veröffentlichung von "Le Pop 2" haben Sie extra eine eigene Plattenfirma gegründet. Welche Pläne haben Sie dafür ? Kann man sich auf weitere Veröffentlichungen französischsprachiger Musik freuen ?

Rolf Witteler: Ja. Wir werden als nächstes an Artist-Alben arbeiten. Musik, die bisher nur in Frankreich oder im frankophonen Ausland erschienen ist. Zur Zeit sind zwei Projekte in Planung: das neue wundervolle Album von Jérôme Minière "Petit Cosmonaute", der übrigens auch am 25. November im Kölner Subway spielt und das ebenfalls bezaubernde "2000" von Mathieu Boogaerts. Das Minière-Album wird im Januar oder Februar erscheinen. Ob das mit Boogaerts klappt, hängt aber noch an Warner, die für Deutschland eine Option auf diese Platte haben und sich leider sehr viel Zeit mit ihrer Entscheidung lassen.
Grundsätzlich wollen wir uns aber nicht für alle Zeiten auf französische Musik festlegen.
© Michael Frost/CD-Kritik.de 25.10.2003

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Weitere CD-Tipps & Porträts:


[Up]