Viktoria Tolstoy

ULITA KNAUS &
VIKTORIA TOLSTOY


Zwei hochkarätige Jazz-Sängerinnen,
zwei unterschiedliche Stimmen
und Temperamente,
zwei Trends?

von Hans Happel

Ulita Knaus

 

Ein Touch von Monroe in der Stimme: Tolstoi-Ur-Urenkelin Viktoria
 
Fotos:
© Jörg Grosse Geldermann / Next

Viktoria Tolstoy kann natürlich nichts dafür, dass ihr Name einen hohen Aufmerksamkeitswert hat und geradezu kultig klingt, während Ulita Knaus Name - weil gegen alle Gewohnheit - ein Zungenbrecher ist und fast trashig wirkt. Shining on you heißt das gerade erschiene Album der Ur-Urenkelin des russischen Schriftstellers. Alle 12 Titel hat der schwedische Jazz-Pianist Esbjörn Svensson eigens für sie geschrieben.

Die junge Skandinavierin hat eine helle und stets leicht angerauhte Stimme, die ihrem Klang etwas besonders Intimes, einen Touch von Monroe, gibt. Sie kann aber auch die Strahlkraft von Barbra Streisand entwickeln. Esbjörn Svensson hat hübsche, eingängige Pop-Melodien geschrieben, die konventionellen Mustern folgen und gelegentlich dem Schmelz amerikanischer Musicals abgelauscht sind. Diese Melange aus Pop und Jazz ist angenehm zu hören und Viktoria Tolstoy adelt sie mit ihrer "magic voice", aber dennoch rutscht ein Song wie "Love is real" mit seinen untergelegten Streichern ins Süßlich-Kitschige.

Die meisten Arrangements (Bror Folk am Piano, Lars Danielsson - Bass und Cello, sowie wechselnde Begleiter) sind angenehm zurückhaltend, und Toots Thielemans spielt ein prägnantes Harmonica-Solo in "No regrets". Viktoria Tolstoy singt - in "Shining on you" - von "dreams of hope and passion", sie singt "easy living is hard to find", und damit hat sie zweifellos recht, aber sie schlägt mit ihren Songs einen Weg zu einer "sentimental journey" ein, die allzu sehr auf easy listening setzt, auf sanfte Schönheit, die zwar reizvoll Ohrwürmiges ("Wonder why"), aber wenig Überraschendes bietet.





Ulita Knaus geht einen anderen Weg. Die 34-jährige Wahlhamburgerin hat mit Latin-Orchestern, mit Jazz-Trios, oder auch mit Udo Lindenberg zusammengearbeitet. Nach ihrem Solo-Debüt "Cuisa" (2002) liegt jetzt ihr zweites eigenes Album vor. Sie kennt und liebt ebenfalls das Poppig-Sentimentale ("Summer green eyes"), und doch wagt sie, musikalisch gegen den Trend zum Gefälligen anzugehen. Ihre Stimme hat nicht die vibrierende Kraft und Farbigkeit von Viktoria Tolstoy, im ersten Moment klingt sie glatter, sauberer, aber hinter der polierten Fassade mischt sie Wärme und Coolness.

Das Ergebnis ist ein klarer, feiner, niemals koketter Ton, der spielend zwischen Alt und Sopran changiert. Was ihr an "magischem" Timbre fehlt, macht sie wett mit der Musikalität ihrer Lieder und Arrangements, die nicht nur thematisch dunkel sind, - es geht in ihren sehr persönlichen Texten um Angst, Enttäuschung, Depression -, sondern sich in ihren melodischen, harmonischen und rhythmischen Strukturen dem Eingängigen verweigern.

Das Quartett von Ulita Knaus - Mischa Schumann (Piano), Gerold Donker (Bass), Heinz Lichius (Drums) - überrascht mit einem gut ausbalancierten Zusammenspiel, in dem die Sängerin die vierte Stimme übernimmt. Damit versteht sie sich - wie Cassandra Wilson - weniger als Solistin denn als Vokalistin, die in vielen ihrer 12 Titel in einen konzentrierten Scat-Gesang übergeht, der in seiner geläufigen Eleganz eine kleine Hommage an Ella Fitzgerald darstellen dürfte.

Nein, Ulita Knaus hat und ist keine "schwarze Stimme". Ihre Songs jedoch leben von einer tiefen Tristesse, einer coolen Melancholie, die sie hinter locker swingenden Rhythmen versteckt, sie leben von einfühlsamen Soli auf Saxofon (Gabriel Coburger), Trompete (Claus Stötter) und Gitarre (Sven Kerschek) , sie leben vom überraschenden Wechsel zwischen elegischem Balladenton und lässig herbeizitiertem Bebop. Fast programmatisch ist die ungewöhnliche - und aufregende - Version von Jimi Hendrix "Manic depression", in dem der Arrangeur Mischa Schumann das Thema auf dem Klavier als dissonante Akkordfolge anlegt und die Sängerin in tiefer Stimmlage sich geradezu frei singt.

Das dunkelste Stück des Albums ist "Dark veils". Hier wird die Stimme von Ulita Knaus am Ende ganz zum Instrument, das über einem bedrohlich ostinaten Bass-Rhythmus - im Scat-Duo mit dem Saxofon - die Tiefen der Einsamkeit beschwört. Herzzerreissend kühl ist diese Musik, sehr leise und am Ende - mit dem Standard "When I fall in love" - unendlich langsam und trostlos intensiv. "so lost like peace" ist ein mutiges Album, das genaues Hinhören verlangt und langsam entdeckt werden will.

© Hans Happel, 14. Februar 2004

 


Gegen den Trend zum Gefälligen:
Wahl-Hamburgerin Ulita Knaus
 


Fotos © Urs Küster

Viktoria Tolstoy

Aktuelles Album:
SHINING ON YOU
ACT 9701-2
(VÖ 26.01.2004)

www.actmusic.com


Ulita Knaus

Aktuelles Album:
SO LOST LIKE PEACE
Minor Muisc MM 801110
(VÖ 23.01.2004)
www.minormusicrecords.com


 

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