Global Soul:
Die Welt wächst zusammen

Das für seine exquisiten Compilations berühmte Label PUTUMAYO RECORDS hat sich in diesem Jahr einer besonderen Herausforderung angenommen: dem Soul. Nicht - wie sonst üblich - die Musik eines einzelnen Landes oder einer Region sollte im Vordergrund stehen, sondern eine Art "Zwischenbilanz" einer ganz bestimmten Musikrichtigung. Der Soul, in den USA aus den Gospels und Spirituals der Afroamerikaner hervorgegangen, ist eine der wichtigsten Strömungen der Popmusik überhaupt. Überall auf der Erde wird er von Musikern aufgegriffen, variiert und erweitert. "Global Soul", so ebenso einfache wie prägnante Titel des Samplers, stellt dreizehn der interessantesten zeitgenössischen Soul-Bands aus vier Kontinenten vor.

Gerade noch rechtzeitig entdeckte Deutschland Joy Denalane. Rechtzeitig insofern, damit auch sie auf "Global Soul" vertreten sein kann. Obwohl sie bislang erst ein einziges Album ("Mamami") veröffentlichte, gilt sie bereits als wichtigste deutsche Soul-Sängerin, die ihren persönlichen Stil um aktuelle Hiphop-Elemente erweitert hat. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind für sie leider bekannte Phänomene, denen sie in ihren Liedtexten scharf entgegen tritt. Als Tochter eines schwarzen Südafrikaners und einer weißen Deutschen gilt sie zudem als eines der prominentesten Vorbilder eines neuen afrodeutschen Selbstverständnisses - zumal für Frauen.

Auch Melanie Renaud wuchs als Farbige in einer überwiegend weißen Umgebung auf. Die Frankokanadierin, die in Haïti geboren wurde, nutzt den Soul zur Bestimmung ihres sozialen Standorts. Den definiert sie in einer beeindruckenden Mischung aus Soul, Funk, Pop, R&B und Chanson. Ihre weiche Ausdrucksweise harmoniert wunderbar mit der Sprache, in der sie singt: Französisch.

Die Sprache und auch die karibische Herkunft verbindet Melanie Renaud mit Soul-Sängern wie Doc Gynéco. Der "französische Eminem" (Pressetext) polarisiert mit einer provokanten Mischung aus Humor, sozialem Engagement und urbaner Poesie.



Deutsche Soul-Diva: Joy Denalane


Frankokanadierin aus Haïti: Melanie Renaud



"Frankreichs Eminem": Doc Gynéco


Album-Highlight: Kaïssa (Kamerun)

 

Doc Gynéco (von Gynécologiste) wuchs im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois auf - wo er noch immer gemeinsam mit seiner Mutter lebt. Schon seit seinem ersten Album "Première Consultation" ist er in seiner Heimat ein gefeierter Star - geht es um französischen Soul, so führt an ihm kein Weg vorbei.

Dass ausgerechnet Frankreich in Europa als Hochburg des aus den USA importierten Soul gelten kann, überrascht letztlich nicht. Hier fanden farbige Immigranten vor allem aus Afrika und der Karibik schon immer fruchtbaren Boden für künstlerische Experimente. Auch Melgroove ("J'attendrai"), eine Band um die Sängerinnen MPassi und N'Dee gehören zu dieser Linie: sie stammen aus dem Kongo und sammelten bereits in der dortigen Hiphop-Szene Erfahrungen, bevor sie nach Paris kamen.

Dort wurde übrigens auch China Moses groß. Die Tochter der legendären Dee Dee Bridgewater ist inzwischen in der französischsprachigen Welt ebenso zu Hause wie in der englischsprachigen und steht ihrer Mutter in Enthusiasmus, Charisma und Ausdrucksstärke nicht nach.

Ein weiteres "Global Soul"-Highlight ist Kaïssa. Die Sängerin mit der herausragenden Stimme wuchs in Kamerun auf und kam mit 13 nach Paris. Sie begann als Background-Sängerin für Weltmusik-Größen wie Papa Wemba, Manu Dibango oder Salif Keïta. Inzwischen lebt sie in New York. "Niki Pata Lambo", ihr Beitrag auf dem Sampler, ist ein Beispiel für die multikulturelle Beeinflussung ihres Stils.

 


Im Gegensatz zu den Künstlern, die sich dem Soul aus der Perspektive der eigenen Tradition nähern, stehen junge Bands wie die Italiener Traccia Mista. Bei ihnen stehen Rhythmus und Energie der Songs im Vordergrund.

Dabei greifen sie Sounds unterschiedlicher Herkunft (Traccia Mista = Vermischte Spuren), v.a. Pop, Hiphop, Rap, R&B und Soul auf und formen daraus einen Mix, der ebenso italienisch wie international wirkt. "Senza Trucco", ihr hervorragender Beitrag auf "Global Soul", erscheint ganz in den Klangfarben der US-amerikanischen Hiphop/Soul-Formation Backstreet.

Und auch Brasilien hat weit mehr zu bieten als die bekannten Samba- und Bossanova-Rhythmen. Die stilsichere Verwandlungskünstlerin Fernanda Abreu, die es liebt, sich in ständig wechselnden Outfits zu präsentieren, gilt als wichtigste Soul-Interpretin des Landes. Ihre Karriere reicht bis in die 80er Jahre zurück, als sie mit ihrer damaligen Band "Blitz" drei ungemein erfolgreiche Rock-Alben veröffentlichte. Zum Soul fand Fernanda Abreu erst im Laufe ihrer Solo-Karriere. Seither mixt sie Funk und Soul feurigen Latin-Rhythmen und bringt damit nicht nur den jährlichen Karneval in Rio auf Touren. "Jack Soul Brasileiro" nennt sie ihren Stil. Arícia Mess dagegen, die zweite Brasilianerin auf "Global Soul", beschreibt ihren Sound eher als "Tropical Funk" - ein weiteres Beispiel für die Bandbreite der brasilianischen Musikszene.

Und schließlich sollte noch ein besonderes Projekt Erwähnung finden: 1 Giant Leap. Dahinter verbergen sich die beiden Briten Duncan Bridgeman und Jamie Catto.



Hiphop all'Italiana: Traccia Mista


Schillernd und wandlungsfähig:
Fernanda Abreu (Brasilien)



Gemeinsam mit Neneh Cherry und Speech für "1 Giant Leap": Das indianische Vokal-Trio Ulali


Der Soul von Seoul: Tasha (Korea)

In ihrem mobilen Studio arbeiten sie überall auf der Erde mit innovativen und interessanten Künstlern zusammen. Neben Projekten mit bekannten Stars wie Michael Stipe (REM), Schauspieler Dennis Hopper oder Robbie Williams geht es den beiden dabei vor allem um die Förderung unbekannter Musiker. Auf "Global Soul" ist 1 Giant Leap ergänzt um Neneh Cherry und Ex-Arrested Development Frontmann Speech zu hören, außerdem singt das indianische Frauentrio Ulali.

Komplettiert wird die Globale Soul-Reise letztlich durch eine junge Soulsängerin aus Südkorea: Tasha. Sie brachte den Soul aus Texas (wo sie 1981 geboren wurde) nach Seoul, denn dort lebt sie mittlerweile. Vor allem in Korea und Japan gibt es mittlerweile eine recht ansehnliche asiatische Soul-Szene, die sich mit Hiphop und R&B-Einflüssen vermischt. Auch Tasha begann ihre Laufbahn in verschiedenen Hiphop-Bands in Seoul. Üblicherweise versucht sie die Ost-West-Verbindung auch auf sprachlicher Ebene herzustellen: Die meisten ihrer Songs singt sie zweisprachig Koreanisch und Englisch.

So wächst die Welt schließlich doch noch zusammen, denkt man nach dreizehn ungemein entspannten und groovenden Albumtiteln. Jeder Song fügt sich wie ein Mosaiksteinchen zum anderen. Erst gemeinsam betrachtet erschließt sich das vollständige Bild vom Siegeszug eines Genres durch die Musikkulturen verschiedener Länder. Sprachliche Barrieren scheinen dabei aufgehoben. Ein Soulmusiker kommuniziert, daher der Name, mit der Seele. Und das gilt für die an diesem Album beteiligten Sängerinnen und Sänger in ganz besonderem Maße.

© Michael Frost, Juni 2003


GLOBAL SOUL
(Putumayo Records PUT 206-2)


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www.putumayo.com

1. Melgroove: J'attendrai (Frankreich)

2. Tasha: Beyond the Ocean (Korea)

3. Fernanda Abreu: Eu quero sol (Brasilien)

4. Doc Gynéco: Caramel (Frankreich)

5. Kaïssa: Nika Pata Lambo (Kamerun)

6. TID: Zeze (Tansania)

7. China: Time (Frankreich)

8. 1 Giant Leap feat. Speech, Neneh Cherry & Ulali: Braided Hair (USA/GB)

9. Arícia Mess: Tentei (Brasilien)

10. Saf Sap: Nit Kit (Senegal)

11. Joy Denalane: Höchste Zeit (Deutschland)

12. Traccia Mista: Senza Trucco (Italien)

13. Melanie Renaud: Ma Peau (Kanada)

 


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