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CD-Kritik.de: Serge Gainsbourg wäre im April 2003 75 Jahre alt geworden. Die Faszination seiner Musik ist ungebrochen. Französische Musiker covern noch immer seine Songs, und Nachwuchsstars wie Benjamin Biolay berufen sich vor allem auf ihn, wenn sie nach ihren Vorbildern gefragt werden. Welche Spuren hat Gainsbourg, der selbst immer wieder internationale Strömungen aufgriff, seinerseits in der internationalen Musiklandschaft hinterlassen ? |
Gerd Heger:
Samples von Gainsbourg, aber auch die Originale werden immer beliebter,
nicht zuletzt durch die unaufhörlichen Editionsanstrengungen der
Plattenfirma (die sich auf die tolle mechanische Qualität der Originalaufnahmen
bei Philipps stützen kann), durch die teilweise interessanten Konzepte,
ihn neu zu beleben ... und durch die letzte Welttournee von Jane Birkin
mit ihrem "Arabesque"-Programm.
Die "grande
bavarde" läßt ja keine Gelegenheit aus, lang und breit
von Serge zu erzählen, seine Poesie den Besuchern der Konzerte, den
Journalisten, allen, denen sie begegnet, nahe zu bringen, und sie hat
einen gewissen Erfolg damit. Vor allem die musikalische Seite Gainsbourgs
als Neuerer, als perfektionistischer Musiker und Texter weckt Aufmerksamkeit,
ob man nun die Jazzsachen mag, die teilweise unerreichten 60-70er Arrangements
(aus London oder von Jean-Claude Vannier "Melody Nelson"), oder
die Dubplatten aus den 80er Jahren. |
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CD-Kritik.de: Sein Name ist nicht nur mit seiner Musik verbunden, sondern immer wieder auch mit Skandalen. "Je t'aime ... moi non plus" - ursprünglich mit Brigitte Bardot aufgenommen, dann mit Jane Birkin veröffentlicht - war einer dieser Skandale, später folgte "Lemon Incest" mit seiner Tochter Charlotte, eine Reggae-Version der Marseillaise ("Aux Armes etcetera ..."), für die er von Traditionalisten scharf attackiert wurde. Waren das die unbekümmerten Eskapaden eines Rebells oder kalkulierte Marketingtricks eines Showstars ? |
Gerd Heger: Vielleicht war Gainbourg der Star der Nachkriegszeit, der am virtuosesten auf dem Medienklavier gespielt hat. Provokationen waren ihm aber sicherlich auch als Person nicht fremd, das wird gerne mit der Grundaggressivität der Hässlichen erklärt. Ein schöner biographischer Artikel hat auch mal davon geschrieben, dass Gainsbourg sein Leben gewissermaßen rückwärts gelebt hat: Am Ende hätte er sein Spiegelbild als eigenes Doppel ausgelebt. |
Der Mythos von Docteur Jekyll und Mister Hyde war schon eine Spielerei der frühen 70er, die Verdoppelung in den privaten Gainsbourg und den Provokateur, Säufer, Nachtleber Gainsbarre (mit diesem verächtlichen -arre im Ton) war Methode, bewußt eingesetzt... und hat sich irgendwann verselbständigt. Schüchternheit, ein übertriebenes Empfinden der eigenen Hässlichkeit, Ausgegrenzheit, was sicher auch mit seiner jüdischen Herkunft zu tun hat und Kindheitserlebnissen, sind sicher die psychologischen Hintergründe dafür.
Beim genaueren Hingucken entlarven die Skandale oft nur die Engstirnigkeit derjenigen, auf die sie trafen... was Gainsbourg ja immer wieder genüßlich aufs Korn nahm. Wer hat z.B. gesehen, dass in dem "Incest"-Video der Vater und die Tochter sich nicht EINMAL anschauen, geschweige denn berühren - und dass vor allem die fliegende Kamera erotisch ist? Und wenn ein Revolutionssong in der Auch-Revolutions-Musik des Reggae aufgenommen wird, kann man das auch ganz natürlich finden... |
CD-Kritik.de: Gainsbourg entstammt einer russisch-jüdischen Emigrantenfamilie. Die Kriegsjahre überlebte er im von Deutschland nicht besetzten Teil Frankreichs. Mit dem Nationalsozialismus setzte er sich in den 70er Jahren in seinem Album "Rock around the Bunker" auseinander, allerdings wiederum so kontrovers, dass auch dieses Skandal zum Skandal geriet. Was wurde ihm vorgeworfen ? |
Gerd Heger: "Man darf nicht manieriert mit dem Horror des Holocaust umgehen." Obwohl der Skandal in diesem Fall erstaulich schwach ausfiel. Die Texte von "Rock around the Bunker" sind in allerhöchster Weise gedrechselt, der Inhalt verschwindet fast hinter der aufs Äußerste bearbeiteten Form. Ein übersetztes Beispiel: |
Sind
dies die unsinnigen Mörder Est-ce
est-ce si bon si bon? 'S
ist g'sund 's ist heil sicher sich fühlt's Est-ce
est-ce si bon si bon? Sind
dies die unsinnigen Mörder |
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Meiner
Meinung nach gehen die Kritiken wieder mal ins Leere. Denn |
CD-Kritik.de: Jane Birkin, wohl die Liebe seines Lebens, widmete er zahllose seiner Titel, ganze Alben, und auch die Stücke für ihre Solo-Platten schrieb er. Seit seinem Tod bewahrt sie die Erinnerung an seine Musik in verschiedenen Projekten. Gerade hat sie "Arabesque" veröffentlicht, eine Sammlung von knapp 20 Gainsbourg-Titeln, die für arabische Begleitung umarrangiert wurden. Ist dies eine zeitgemäße Form, Gainsbourg auch der jüngeren Generation zugänglich zu machen ? |
Gerd Heger: Die Leistung von Jane beim Wachhalten der Erinnerung an Serge ist unumstritten. Die ehemalige kleine Engländerin, die langsam nahtlos in den wundervollen Zustand der britischen, leicht schrulligen, älteren Dame übergeht, liebt tatsächlich, was Serge war, was er für sie war (auch mit den negativen Seiten, wegen derer sie sich ja von ihm trennte) - und sie liebt auch die Poesie, die er in seinen Chansons verewigt hat. Da gehen dann die Kritiken an ihrem übermäßigen Pathos, an ihrem auch nach Jahrzehnten noch sorgsam gepflegten Akzent ins Leere .... wenn Jane auf der Bühne (übrigens immer mit demselben Text) gefühlvoll wird, reißt es auch das Publikum, das Gainsbourg nicht kennt. Gainsbourg
war einer der ersten, der eine Worldmusic-Platte gemacht hat ("Gainsbourg
Percussions"), Gainsbourg hat den Reggae für Frankreich entdeckt,
Gainsbourg flog nach New York oder Los Angeles, um satten Ami-Sound zu
kriegen, warum nicht ihn in arabisierenden Versionen verewigen? Man kann
über das konkrete Ergebnis streiten (mir persönlich ist es musikalisch
nicht abwechslungsreich genug), das Publikum hat sich bisher nicht beschwert.
Und die Platte auch gut gekauft. |
CD-Kritik.de: Französische Musik hat es in Deutschland traditionell schwer, dem Nischendasein zu entkommen. Trotzdem - oder deswegen ? - hat Universal vor zwei Jahren in einer ehrgeizigen Anstrengung sämtliche Gainsbourg-Alben in remasterten Versionen mit deutschen Liner-Notes und Textübersetzungen neu veröffentlicht. Wo siehst du die Ursachen für das möglicherweise wachsende Interesse in Deutschland für französische Musik ? |
Gerd Heger: Es gibt nicht wirklich ein wachsendes Interesse an all dem, was es an Reichtum in der französischen Musiklandschaft gibt. Wer hat hierzulande schon von der Nouvelle Chanson réaliste gehört, dem Trend, der vor Tiersen oder Biolay angesagt war? Oder wer kennt Vincent Delerm und seine kleinen ironischen Geschichten? Hypes werden gemacht und passen dann - oder nicht.Erstmal müssen die Vermittler, also die Musikjournalisten, aufhorchen (Amelie Poulain) und überzeugt werden, dann sollten die Gazetten nachziehen - und von Vorläufern wie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bis hin zum Spiegel haben es alle getan im Fall der sogenannten Nouvelle scène francaise (die ja eher ein hierzulande kreiertes Label ist und so in Frankreich kaum wahrgenommen wird). Und dann müssen, damit sich die Plattenfirmen wirklich dahinter klemmen, tatsächlich auch Platten verkauft werden. Derzeit schickt ja jede Majorcompany ihre Praktikanten in den Keller, um mal zu sehen, was "wir denn noch so auf Französisch haben". Wenn dann "Produkte" wirklich "gut aufgestellt" werden "im Markt" (ich liebe Marketingdeutsch), dann haben sie bei der "Zielgruppe der Aufgeschlossenen" eine Chance. Dann kommen, nach Medienberichterstattung, die Leute dazu, die sich das anhören, weil es "in" ist. Und natürlich gibt es auch noch ein paar, die es einfach mögen, wie im Fall von Carla Brunis Gesängen. Ein paar Hits (In-Grid mit Tu es foutu ist in Frankreich z.B. fast völlig unbekannt, kommt aus Italien), ein paar Covers (Kate Ryan singt Mylène Farmer, die wiederum Alizée produziert) und flupp... alle wollen Frankreich.
Gab's immer mal wieder in der Popgeschichte der letzten zwanzig Jahre. Und mit dieser Einschätzung möchte ich nicht die Arbeit des Bureau Export für französische Musik in Berlin schmälern, das es tatsächlich geschafft hat, den wirtschaftlich interessanten Markt Deutschland für französische Musik zugänglicher zu machen. Wenn man genauer hinguckt, und bei ein paar Plattenhändlern fragt, die sich nicht nur nach der Hitparade richten, dann gibt es in Deutschland grundsätzlich ein Publikum für Musik aus Frankreich: die Frankovielen ("war schön im Urlaub"), die Frankophonen ("parlez-vous francais") und die Franzosen im deutschen Ausland.... in jeder größeren deutschen Stadt so zwischen 200 und 2000 Leute. Wer clever ist, konnte sich dieses Publikum immer schon halten ... und auch in begrenztem Rahmen Geld damit verdienen. Neu ist derzeit, dass die sauber und pfiffig produzierten melancholischen Werke von Biolay, Bruni und Co offensichtlich noch auf ein passendes Lebensgefühl treffen (das auch die Liebhaber des klassischen Chansons so belebt -und insofern ein Vorurteil bedient), vielleicht ein erstes Indiz dafür, dass der allgemein herrschende Dudelfunk mit seiner Gummimusik merkliche Teile der Bevölkerung mit Bedürfnissen zurücklässt, die nur echte Entdeckungen und Geschmackvolles, vielleicht sogar mit Inhalt, befriedigen können. Naja, man muss träumen dürfen! ©
Michael Frost/CD-KRITIK.DE Fotos |
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