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Die
Generation der Enkel Die Väter und Mütter des Bossanova und der Tropicalia-Bewegung sind längst im Alter von Großeltern. In Brasilien übernimmt nun die Enkelgeneration ihr reiches Erbe. Die Vorbilder für den neuen Sound kommen dabei sowohl von den Ikonen des eigenen Landes als auch aus der internationalen Musikszene. Bebel Gilberto ist hierzulande vielleicht die bekannteste Vertreterin der jungen Generation brasilianischer Musiker, die Bossanova und Samba mit Dance- und Elektrosounds mixt. Stellvertretend für die junge Szene empfehlen wir an dieser Stelle drei Neuerscheinungen dieses Herbstes. |
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Ausgehend vom Downbeat entwickelt er darauf einen Synthisizer-basierten Sound, in den er Ambient-, Drums&Bass- und Nujazz-Elemente einstreut. Die Ursprünge der Rhythmik im Bossanova bleiben dabei offenkundig, selbst wenn Apollo Nove fast vollständig auf elektronische Klänge setzt. Nur selten verirrt sich einmal eine akustische Gitarre in seine Songs (z.B. in "Traz um alivio"), "echte" Percussions werden lediglich angedeutet, doch überwiegend nur, um durch Samples gebrochen zu werden. So
entsteht eine distanzierte Atmosphäre, die vielleicht sogar kühl
wirken könnte, gäbe es nicht den wärmenden Gesang charakteristischer
Bossanova-Stimmen (Cibelle, Seu Jorge, Céu und Tita Lima). |
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Mit der EP "About a girl", mit der die Wartezeit auf das zweite Album verkürzt werden soll, positioniert Cibelle sich zwischen brasilianischer Tradition und elektronischer Avantgarde. Die CD enthält lediglich vier Tracks, die vor allem eine Aussage haben: Was hier passiert, ist neu und war in dieser Art vorher nie zu hören. Beth Gibbons, Björk, Roisin Murphy und Alison Goldfrapp, so klingt es, haben eine brasilianische Schwester bekommen, die ebenso hemmungslos wie konsequent mit den Genres spielt: Kühlen Triphop kontrastiert sie mit weichen Bossanova-Läufen. Deren sanftes Geplätscher wiederum bricht sie mit leisen Breakbeats und digitalen Samples. Das Ergebnis ist unberechenbar und genauso aufregend, wie es die Plattenfirma verheißt. Zum Experiment gehört dann auch, dass der Titelsong "About a girl" die Coverversion des gleichnamigen Nirvana-Songs ist, und dass die Rückseite der CD eine DVD ist, auf der drei der Tracks sowie ein weiterer nochmal zu hören sind, unterlegt mit Bildern, die Cibelle selbst aufnahm und schnitt. Es sind kleine Videokunstwerke, die da entstanden, stimmungsvoll und abstrakt in ihrer Aussage, die viel Spielraum für die eigene Assoziation lassen. Cibelle
wird durch diese Produktion zur Multimediakünstlerin, die über
ihre Musik hinauswächst. Darüber hinaus hat sie die Erwartungen
auf ein neues Album enorm angeheizt - und die internationale Musikszene
bereits jetzt um nicht eben wenige Klangfarben bereichert. |
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Setzt man sich mit seinem Album "Cru" jedoch genauer auseinander, wird die Raffinesse seines Sounds deutlich: Unter der akustischen Oberfläche wird "Cru" von elektronischen Elementen getragen, die den Rhythmus der Songs hervorheben und ihn sogar dancefloor-tauglich machen, wie die beiden Bonus-Tracks ("Mania d peitao" und "Tive Razao") des Albums beweisen. Für Seu Jorge hat jedoch nicht nur die Musik Bedeutung, sondern gleichermaßen auch der Inhalt. Der Text zu "Eu sou favela" ("Ich bin die Favela") ist eine Anklage gegen die sozialen Missstände in den Metropolen Brasiliens, in denen große Teile der Bewohner noch immer unter Bedingungen größter Armut in den Elendsquartieren ("Favelas") leben müssen. Auch seinem Sinn für skurrile Adaptionen lässt Seu Jorge wiederum freien Lauf. Auf "Cru" trifft es erst Serge Gainsbourg ("Chatterton"), später Elvis Presleys "Don't": "Er (Elvis) bediente sich der schwarzen Musik, und ich nahm sie zurück - und stellte mir dabei mich selbst in Cowboystiefeln vor" (The Telegraph). Auch
hieraus spricht das Selbstbewusstsein einer neuen Generation brasilianischer
Musiker, die bereit sind, den ihnen zustehenden Platz in der Musikwelt
nicht nur einzunehmen, sondern auch auszubauen. © Michael Frost, November 2005 |
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