Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Der Literat unter
den Cantautori


Er ist einer der Klassiker unter den italienischen "Cantautori" bzw. Liedermachern, wie wir diese sehr spezifische Gruppe von Musikern in sprödem Deutsch nennen würden. "Songpoet" wäre vielleicht eine zutreffendere Beschreibung, jedenfalls für die hochkarätigen Vertreter des Genres, und zu denen gehört Roberto Vecchioni allemal.

Bereits in den 60er Jahren begann die Karriere des 1943 in Mailand geborenen Vecchioni als Autor für einige der damals ganz großen Stars des italienischen Chansons: Mina, Ornella Vanoni, Gigliola Cinquetti. Erst 1971 begann er, seine Lieder selbst zu interpretieren - eine kleine Parallele zur Karriere von Paolo Conte, der auch erst andere zu berühmten Sängern machte (z.B. Adriano Celentano), bevor es ihn selbst ins Rampenlicht zog.
Zwei Jahre nach seinem Debüt trat Vecchioni erstmals auf dem legendären Songfestival in San Remo auf, doch der Erfolg blieb zu diesem Zeitpunkt noch aus.

Der stellte sich 1977 ein. Sein Titel "Samarcanda" avancierte zu seinem bislang größten Hit und bildete die Basis für alle weiteren Erfolge, vergleichbar vielleicht mit der Bedeutung, die "Azzurro" für die Gesangskarriere von Adriano Celentano oder "La pulce d'acqua" für Angelo Branduardi hatte - allesamt Klassiker, die heute fast schon zum festen Bestandteil der italienischen Kultur gehören und bei keinem Konzert der jeweiligen Künstler fehlen dürfen.

Doch anders als Celentano ist Vecchioni ein Vertreter der leisen Poesie, und anders als Branduardi zieht er sich dabei nicht auf die Erzählung von Fabeln und Märchen zurück, sondern widmet sich der Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Liebe - verlorene und gefundene - beschreibt der promovierte Literaturwissenschaftler Vecchioni mit emphatischer Leidenschaft.

Doch Vecchioni widmet sich auch dem politischen Geschehen. Auf seinem aktuellen Album "Il lanciatore di coltelli" ("Der Messerwerfer"), das jetzt auch in Deutschland erschienen ist, befindet sich beispielsweise ein Titel namens "Shalom", erzählt aus der Sicht eines jungen Israeli, der des ewigen Krieges in seiner Heimt überdrüssig ist: "Shalom, padre, shalom, io vado via ..." ("Friede sei mit dir, Vater, ich gehe fort").

Vecchioni hat nicht nur Literaturwissenschaften studiert, sondern auch selbst Lyrik, Erzählungen und jüngst einen Roman ("Le parole non le portano le cicogne", Einaudi 2000) veröffentlicht. Immer wieder kehrt er auch in seinen Liedern zur Literatur zurück, widmet sich den Dramen des antiken Griechenland, Oscar Wilde oder - wiederum auf seinem aktuellen Album "Il lanciatore di coltelli" - Thomas Mann: "La bellezza" (Die Schönheit), im Untertitel "Gustav e Tadzio" ist ein innerer Monolog, der sich auf den "Tod in Venedig" bezieht: "Venezia in questa luce del lido prima del tramonto ha la forma del tuo corpo ..." ("Venedig in diesem Licht des Lido vor dem Sonnenuntergang hat die Form deines Körpers ...").

Zusätzlich ist Vecchioni nicht nur selbst ein "aktiver" Cantautore, sondern auch ein wissenschaftlicher Beobachter ihrer Arbeit. Nicht nur ist er der Autor von Monografien über Leben und Werk zweier seiner Kollegen (Francesco Guccini und Fabrizio de André), immer wieder nahm er auch Lehraufträge an italienischen Hochschulen an, wo er Seminare über verschiedene Aspekte der Cantautori (Musik, Lyrik etc.) leitete, zuletzt an der Universität von Turin.

Die ungewöhnliche Vielseitigkeit hat selbstredend großen Einfluss auch auf seine Musik. Vecchionis Alben sind beispielhaft für die besten Qualitäten, die einen italienischen Cantautore auszeichnen: der literarische Anspruch der Texte sowie durchdachte und einfühlsame Arrangements, die oft in der Folklore des Landes oder einer bestimmten Region fußen, aber um Chanson- und Popelemente ergänzt werden. Die Alben Vecchionis, nicht zuletzt auch seine aktuelle CD "Il lanciatore di coltello" vereinen diese Qualitäten in geradezu perfekter Weise.

 

© Michael Frost, 01. Oktober 2002

 

 

[Archiv] [Up]