Harlem
in den 20-er Jahren: In seinem immer noch lesenwerten "Jazzbuch"
erzählt Joachim-Ernst Berendt von den farbigen Pianisten, die
bei sogenannten rent parties aufspielten, um die längst fällige
Miete begleichen zu können, und die bei cuttin´contests
gegeneinander antraten und um die Wette spielten. Einer
unter ihnen hieß Fats Waller.
Berendt
nennt ihn einen der "grandiosesten Pianisten der Jazz-Geschichte
und eine der humorvollsten und unterhaltsamsten Komödianten der
populären Musik." Der amerikanische Autor Studs Terkel porträtiert
ihn als einen der "Giganten des Jazz", so heißt sein
mitreißend lebendig geschriebenes Buch mit biografischen Skizzen
der Größen des Jazz, das - 1957 in New York erschienen
- jetzt erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt (Verlag 2001).
"Er
sah aus wie ein Elefantenbaby und spielte Klavier wie eine Elfe",
schreibt Terkel über den Musiker, der immer witzig sein konnte
und zu Hause am liebsten Bach spielte. Eine große zeitgenössiche
Jazz-Pianistin mit Sinn für die Schule des Humors hat sich seiner
angenommen. An zwei Tagen im Juni 2003 setzte sich die Japanerin Aki
Takase in ein Hamburger Studio und nahm dort zusammen mit fünf
weiteren Musikern eine Hommage an Fats Waller auf, die dem 1904 geborenen
und 1943 verstorbenen Musiker ein so unglaublich heiteres Denkmal
setzt, dass wir es unbedingt trotz aller Verspätung an dieser
Stelle rühmen wollen.
"Aki
takase plays fats waller" heißt das Album, das schon im
letzten Jahr erschienen ist und unter dem Stapel laufender Neuerscheinungen
auf keinen Fall vergessen werden sollte.
Die gestrenge Avantgardistin des Jazz-Pianos ist zugleich eine der
phantasievollsten Patchwork-Musikerinnen der zeitgenössischen
Szene. Sie integriert, zitiert, verfremdet, klaut und klebt zusammen,
was kaum zusammen gehört, und das gelingt ihr mit einer raffinierten
Leichtigkeit, die den musikalischen Flickenteppich, der dabei herauskommt,
zum faszinierenden Hörerlebnis macht.
Vom
pianistischen Harlem-Rag über rasante Bebop-Läufe und Freejazz-inspirierte
Ensemble-Arbeit bis zu ruhigen, moderat modernen "Intermezzi"
am Piano solo spannt sie den Bogen, ohne dass sie mit diesem farbigen
Stilmix jemals einbricht. "Ain´t misbehavin", einen
der größten Hits von Fats Waller, behandelt sie wie ein
zerbrechliches Kunstlied des 19. Jahrhunderts. Mit einer zart-lyrischen
Pianostimme umspielt sie die bekannte Melodie, die Eugene Chadbourne
ohne falschen Druck zurückgenommen singt. Wallers ohrwürmige
Songs werden meist im Sextett vorgestellt - als Verbeugung vor Fats
Wallers eigenem Sextett?
Mit
Wiener Schrammelmusik ("Tintenfisch in Wien") und deutsche
Schlagerseligkeit ("Kauf dir einen bunten Luftballon") beenden
die Musiker ihre Hommage an einen Künstler, der - wie sie selber
- mit Witz und immer gutgelaunt sich der Schlager seiner Zeit angenommen
hatte.
Zur
Formation gehören Eugene Chadbourne (vocal, banjo, guitar), der
Posaunist Nils Wogram, der Trompeter Thomas Heberer, der Drummer Paul
Lovens und Aki Takase langjähriger musikalischer Partner Rudi
Mahall (Bassklarinette). Ihnen gemeinsam sind Brillianz und Lockerheit,
der schnelle Wechsel zwischen Formeln und Formen der Jazz-Geschichte,
das Ausbalancieren zwischen Tradition und Moderne, das hier ohne jede
Anstrengung gelingt. "Aki Takase plays fats Waller" ist
ein großartiger Spaß, aber natürlich mehr als das,
ein kluges, intelligentes, nervöses Spiel mit den disparaten
Elementen einer musikalischen Sprache, die nur dann, wenn sie ihre
Wurzeln nicht verleugnet, eine Zukunft hat. Aki Takase gehört
zweifellos zu ihren Wegweisern.
Die
seit Jahrzehnten produktive Pianistin zeigt - in etwas anderer Besetzung
- auf der Ende letzten Jahres erschienenen CD "AKI and the GOOD
BOYS" ihre Qualitäten als Komponistin. Der Live-Mitschnitt
aus dem Berliner Jazzclub A-Trane - aufgenommen im März 2004
- präsentiert ein Quintett, das wieder in die Tradition greift,
aber hier liegt der Schwerpunkt beim modern Jazz. Mit rasanten Läufen,
mit heftigem Schlagzeugspiel wird schon im ersten - acht Minuten langen
Stück - eine fiebernde Atmosphäre vorgegeben, eine Hitzigkeit,
die direkt aus besten Bebop-Tagen zu rühren scheint.
Aki
Takase - schräg wie immer - leitet ihre Komposition "Procreation"
mit einem durchkomponierten mehrstimmigen Intro ein, das wohl nicht
zufällig wie eine Anverwandlung an Hanns Eislers kammermusikalisches
12-Ton-Werk klingt, schließlich hat sie an der Berliner Musikhochschule,
die Eislers Namen trägt, von 1997 bis 1999 als Gastdozentin unterrichtet.
Takases
GOOD BOYS spielen im A-Trane unter Dampf, dafür sorgt schon der
herausragende Schlagzeuger Heinrich Köbberling (Mitglied des
Julia Hülsman-Trio), der hier das fast durchgehend irrwitzig
schnelle Tempo vorgibt. Zweiter Komponist des Albums ist - mit fünf
Titeln, die Takases Einfluss nicht verleugnen - Bassklarinettist Rudi
Mahall, der dem drängenden Schlagzeuger mit "Super Heinrich"
ein eigenes Stück beschert.
Aki
Takase arbeitet elegant mit dem Wechsel zwischen impressionistischen
Stimmungsbildern ("Die Möwe"), Free Jazz-Passagen und
unvermittelter Schlagerseligkeit, Bassist Johannes Fink unterstützt
dies Spiel mit seinem schön gestrichenem Bass, Walter Gauchel
(Flöte und Sopran- sowie Tenorsaxophon) hat mehrere brilliante
Soli. Höhepunkt dieses Mitschnitts ist "Choco Amore",
mit einem kurzen Pianosolo vorweg, das - angetrieben vom groovenden
Schlagzeuger - in eine Musik umgewandelt wird, in der Swing, Coltrane-Klänge,
Bebop, Freejazz wild durcheinandergewirbelt werden, bis das ganze
in eine Zirkusmusik übergeht, die schließlich im Harlem-Tingeltangel
endet.
Diese
GOOD BOYS mit Frau an ihrer Spitze sind witzig, farbig, und bei allem
Mut zur Kakophonie jederzeit unangestrengt. Und weil es so gefallen
hat, setzen die Musiker als Abschiedstitel ein wehmütiges "Tschüss"
hinterher, einen Schnodder-Song, wie er auch von Udo Lindenberg kommen
könnte. Aki Takase, Fats Waller und ihre Jungs: Das sind zwei
stimmungsvolle, kräftige und hochintelligente Produktionen für
einen heftigen Frühling.
©
Hans Happel, 17. April 2005