Dass
Künstler Deutschland verlassen, um in den USA ihr Glück zu
versuchen, hat Tradition und ist deshalb keine Überraschung. Der
umgekehrte Weg dagegen ist noch immer eine Ausnahmeerscheinung, kann
aber ebenso lohnenswert sein, wie das Beispiel von Jocelyn B. Smith
beweist.
Es
geschah 1984, während einer Europatournee, als Jocelyn B. Smith
die Entscheidung traf, die ihr Leben veränderte: Sie blieb in
Berlin. "Berlin ist wie New York, groß, multikulturell
und vor allen Dingen lebendig", befand sie, nachzulesen auf ihrer
Website, und in Berlin lebt sie auch heute noch, zwanzig Jahre und
elf Alben später.
Ihren
Erfolg verdankt sie sich selbst, ihrem Esprit, ihrem Können,
ihrem festen Glauben an Gott - aber auch an sich selbst - Facetten,
die auch in ihrer Musik immer wieder eine große Rolle spielen.
Allein die Kunde von der "wohl gewaltigsten Stimme Deutschlands"
(Heute-Journal) weckte das Interesse von Jazz- und Soulpop-Fans, füllte
Clubs und Hallen, in denen sie gastierte, zunächst mit Coverversionen
berühmter Jazzsongs ("Born of music", 1992), später
auch mit eigenen oder eigens für sie geschriebenen Liedern.
Der
große Durchbruch gelang dann 1995. Sie hatte einen Vertrag bei
Sony Music unterzeichnet und wurde engagiert, um den von Elton John
komponierten Titelsong zum Disney-Film "König der Löwen"
zu singen. Doch ihre musikalischen Visionen tangierte der Erfolg nicht.
Die seichten Gewässer des Mainstreams umschiffte sie mit einem
überraschenden Projekt: "Blue Light and Nylons". Das
Album enthält ein Dutzend Interpretationen von Weill- und Gershwin-Kompositionen,
darunter "Summertime", "Mack the Knife" und "Lost
in the Stars" und wurde zu ihrem bis dahin größten
Erfolg.
Seither
ist sie in der deutschen Jazz-, Soul- und Showszene ein fester Name.
Sie nahm an der Abschiedstour von Harald Juhnke teil, interpretierte
Lieder von Mikis Theodorakis, nahm ein Weihnachtsalbum auf, und zuletzt
veröffentlichte sie ein Album mit inspirierenden Soul- und Funkrhythmen:
"Back to Soul". Mit der CD kehrte sie gewissermaßen
zu ihren Wurzeln zurück, doch nur, um nunmehr wieder ein neues
Kapitel aufzuschlagen.
Die "Phenomenal Woman", so der Titel des neuen Albums, zeigt
sich darauf von ganz verschiedenen Seiten. "If I could be the
one" ist eine eingängige Soulpop-Nummer, die offenbar den
Weg für härtere Klänge ebnen soll, denn spätestens
bei "Brighter Day" ist es mit der Ruhe vorbei: Joceyln B.
Smith zieht das Tempo an und gibt die Rock-Röhre.
Neben
ihrer angestammten Band, zu der Gitarrist und Arrangeur Eric St. Laurent,
Henning Schmiedt (Tasten), Volker Schlott (Flöte, Saxophon),
Hans-Dieter Lorenz (Bass) und Daniel Gioia (Percussions) gehören,
sorgen Gaststars wie Till Brönner (Trompete, Flügelhorn),
Jörg Huke (Posaune), Toni Lakatos (Tenorsaxophon), David Reinhard
(Trompete) und Sänger Colin Rich für spannungsvollen Sound
und pure Spielfreude. Gemeinsam gelingt ihnen das seltene Kunststück,
die zwölf Titel zwar eingängig und mitreißend, aber
niemals langweilig oder banal klingen zu lassen.
Joceyln
B. Smith weiß sehr genau um die Qualitäten ihrer Begleiter
und lässt ihnen deshalb großzügigen Raum für
Solo-Sequenzen und Intermezzi, die gewohnte Songstrukturen durchbrechen
und Feuerwerke der Improvisationskunst entfachen. Dennoch bleibt sie
natürlich die Nummer Eins, die "Phenomenal Woman",
die mit charismatischer Stimme und kraftvollem Timbre den Weg weist.
Den
Albumtitel entlehnte sie übrigens einem Gedicht der afroamerikanischen
Autorin Maya Angelou, das tatsächlich direkt für Joceyln
B. Smith geschrieben haben könnte:
"It's
the fire in my eyes,
And the flash of my teeth,
The swing in my waist,
And the joy in my feet.
I'm a woman
Phenomenally.
Phenomenal woman,
That's me."
©
Michael Frost, 12. März 2004