Nein,
es geht nicht um Flamenco. Vehement streiten Rodrigo und Gabriela ab,
dass ihre Musik etwas mit Flamenco zu tun habe. Und wer das weiterhin
behauptet, für den hat das mexikanische Duo ihrer neuen CD eine
DVD beigelegt, die unter anderem einen kleinen Gitarren-Kurs enthält,
in dem der Unterschied zwischen Flamenco und ihrer Spieltechnik verraten
wird.
Was
aber genau "Rodrigo y Gabriela" nun jenseits des Flamenco
treiben, das bleibt auch nach intensiver Begutachtung ihrer neuen
Veröffentlichung rätselhaft. Sicher ist, dass sie legitime
Nachfahren des "Teufelsgeigers" Paganini sind - bloß
mit zwei Gitarren statt einer Geige.
Versuch
einer Annäherung: Zwei virtuosen Gitarristen, die ihre musikalische
Ausbildung in einer Trash-Metal-Band in Mexico City begannen und sich
dann mit ihren Instrumenten auf den Weg nach Europa machten. Sie landeten
als Straßenmusiker in Kopenhagen.
Dort
fanden sie ihren ersten Unterstützer: Es handelte sich um einen
dänischen Obdachlosen, der ihnen zeigte, wie man seine Hände
auch bei drei Grad minus warm bekommt, damit man weiter Gitarre spielen
kann. Er sammelte bei den Passanten das Geld für die beiden ein
und hielt ihnen die strenge Polizei der Hauptstadt vom Hals. Zum Dank
ist dem namenlosen Dänen nun ein Titel auf der neuen CD des Duos
gewidmet: "Vikingman".
Weil
ihre Stücke sämtlich instrumental sind, erzählen Rodrigo
und Gabriela die Geschichten zu ihren Kompositionen im Booklet. So
erfährt man die Geschichte von Erroberto Piza alias "Tamacun",
der an der mexikanischen Pazifikküste zum Beschützer der
letzten Krokodile wurde, nachdem ein anhaltender Bauboom den Lebensraum
der tropischen Tierwelt immer weiter vernichtete. Einen anderen Titel
widmeten sie ihrem Produzenten. Nachdem sie anfangs skeptisch waren,
ihre Arbeit überhaupt in die Hände eines Dritten zu legen,
waren Rodrigo und Gabriela schließlich beeindruckt von dem Respekt,
den John Leckie ihren Stücken entgegenbrachte, dass sie ihn sogar
zum Mexikaner ehrenhalber erklärten und ihm den spanischen Namen
"Juan Loco" gaben.
Leckie,
der zu den kreativsten und erfahrensten Producern der Musikwelt gehört
(er arbeitete u.a. für Radiohead und Muse), hatte erkannt, dass
Rodrigo y Gabriela zu den ungewöhnlichsten Phänomenen der
Rockwelt gehören. Schon, weil sie gar keine Rockband sind (und
auch keine Flamencoband). Trotzdem covern sie "Stairway to heaven"
und Metallica mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der
sie auch Astor Piazzollas "Libertango" adaptieren. Und die
Resonanz ist überall die selbe: Wo sie auch auftreten, stehlen
Rodrigo y Gabriela den übrigen Acts die Show - zuletzt auf der
Tour des Songwriters David Gray, den sie als Support auf seiner Deutschlandtour
begleiteten.
Ihren
Durchbruch feierte das Duo in Irland. Dort stieg ihr Livealbum "Live
Manchester & Dublin" 2004 sogar in die Top 10 der Charts
auf - höher als jedes andere instrumentale Livealbum zuvor. Nachdem
Damien Rice auf sie aufmerksam geworden war, hatte ein irisches Plattenlabel
schon 2002 das CD-Debüt "Re-Foc" veröffentlicht.
Seither sind sie auf Festivalbühnen in Irland und Großbritannien
feste Größen.
Mit
ihrem neuen Album kommen Rodrigo y Gabriela nun selbst auf Tour. Alles,
was sie für die Reise benötigen, passt weiterhin in zwei
Gitarrenkoffer. Alles übrige haben sie in den Fingern: einen
furiosen Sound, der den Zuhörer aus den Sitzen reißt, nicht
Rock, nicht Flamenco, nicht Blues, nicht Jazz, nicht Latin und nicht
Folklore - und doch von allem etwas, und vor allem voller Leidenschaft,
Temperament und Lebensfreude.
©
Michael Frost, 01. April 2006
Videolink: Rodrigo y Gabriela live im Paradiso/Amsterdam (fabchannel.com)