Die
Vergangenheit hat Zukunft. Jedenfalls, so scheint es, in der Musik.
Anleihen, Zitate, "Retro"-Sound - nichts, was es nicht gäbe;
bis hin zu Interpreten und ganzen Orchestern, die ganz tief in die alte
Kiste mit den Shelllack-Platten greifen.
So
klingt es jedenfalls bei Pink Martini. Seit einigen Jahren feiert
die 12-köpfige Kombo die Wiederauferstehung des Zaubers, den
einst Fred Astaire und Ginger Rogers auf der Tanzfläche verbreiteten,
oder Sängerinnen von Judy Garland über Marlene Dietrich
und Edith Piaf bis Doris Day.
Dabei
ist der entwaffnende Retro-Sound von Pink Martini längst nicht
so überraschend wie die Herkunft des Tanzorchesters um Sängerin
China Forbes und Bandleader Thomas Lauderdale. Denn hierzulande hielt
man die Gruppe lange für Franzosen: ihr Debütalbum war "Sympathique"
betitelt, und Citroën hatte daraus den Titel "Je ne veux
pas travailler" für seine "Picasso"-Kampagne ausgewählt
(die Pink Martini vermutlich bekannter machte als das Auto).
Tatsächlich
klingt Vieles an Pink Martini très français -
die polyphonen Rhythmen von Bossanova über Blues, Swing bis Chanson
und Schlager, die Mehrsprachigkeit (auf ihrem aktuellen Album singt
China Forbes in sechs verschiedenen Sprachen, darunter Japanisch),
aber vor allem wohl die besondere Eleganz und Leichtigkeit ihrer Arrangements,
die man eher der Seine zuordnen würde als der tatsächliche
Heimatstadt Portland im US-Bundesstaat Oregon.
So
kann man sich täuschen, und so sehr kann man eigenen Vorurteilen
auf den Leim gehen. Und so entpuppt sich die vermeintliche Oberflächlichkeit,
die man schon der US-Unterhaltungsmusik der 40-60er Jahre oft unterstellte,
bei Pink Martini als unzutreffend.
Die
Vorgehensweise von Pink Martini ist der von Regisseur Steven Soderbergh
in seinem Film "The Good German" nicht unähnlich. Soderbergh
erzählte 2006 in der Ästhetik des amerikanischen Noir-Films
der 40er Jahre eine klassischen Agenten- und Spionagegeschichte, doch
er "konfrontiert den Noir-Stil mit all dem, was fehlte im filmischen
Diskurs" (EPD-Filmdienst): Holocaust, Massenvergewaltigungen
und die skrupellose Anwerbung nazi-deutscher Bombenbauer durch die
Alliierten.
Bei
Pink Martini verhält es sich ähnlich. Lauderdale und seine
Musiker nutzen ein klassisches, charmant gealtertes Genre und geben
ihm auf sublime Weise eine politische Bedeutung, die es in seinen
Glanzzeiten bewusst aussparte. Der Entwurf weltläufiger und entsprechend
vielsprachiger Musik ist ein gezielter Akt gegen den arroganten Weltpolizei-Anspruch
der USA. Thomas Lauderdale: "Wir waren bestürzt über
dieses weltweite Desaster, welches von der momentan amtierenden Regierung
der Vereinigten Staaten veranstaltet wird."
So
darf schon die Kombination von 40er-Jahre US-Swing und japanischer
Sprache ("Taya Tan" auf dem aktuellen Album "Hey Eugene")
als politisches Statement auch in der Gegenwart verstanden werden,
ebenso wie der Titel "Chante e dance" in arabischer Sprache
ein Plädoyer sein möchte für die Rückkehr zu "Güte,
Schönheit und Romantik" (Lauderdale). An
sich ein schönes Ziel, und très sympathique.
©
Michael Frost, 17. Mai 2007