Was fängt
man bloß mit einer Künstlerin an, die Publikum, Plattenfirmen,
Kritiker und Beobachter gleichermaßen verzweifeln lässt?
Ihre Karriere ist voller Irrungen und Wirrungen - das einzig Beständige
an Sinéad O'Connor, so scheint es manchmal, ist ihre Unbeständigkeit.
Vielleicht
abgesehen von dieser Begebenheit: Ende April 2003 teilte Sinéad
O'Connor ihren Fans mit, sie werde sich ab Juli, nach der Veröffentlichung
eines Albums von Sharon Shannon mit ihrer Beteiligung nur noch ihrem
Privatleben widmen. Sogar ihre offizielle Website ließ sie schließen.
Zum Abschied gebe es noch eine Live-DVD. Bezeichnender Titel: "Goodnight,
thankyou. You've been a lovely audience".
Dabei
lief gerade alles wieder rund. Mit "Sean-Nós Nua",
ihrem neuesten und nun vielleicht letzten Studioalbum, auf dem sie
alte irische Volkslieder in neuen Arrangements präsentierte,
hatte Sinéad O'Connor endlich wieder durchweg positive Kritiken
erhalten. Darüber hinaus war sie als Gastsängerin auf vier
Titeln des hoch gelobten Massive Attack-Albums "The 100th Window"
zu hören - und zwar in Bestform - und auch für die Tour
der Triphop-Ikonen aus Bristol war Sinéad O'Connor fest gebucht.
Eine Krankheit, so hatte sie allerdings frühzeitig mitteilen
lassen, zwinge sie zur Absage der Konzerte.
Die
Tour hätte ihre endgültige Rückkehr in den Popolymp
bedeuten können - den Ort, in den sie bereits 1989 einmal gehoben
worden war, als sie mit der Interpretation des Songs "Nothing
compares 2 u" einen Hit landete, der seither zur Gruppe der All-Time-Favourites
gehört. Der Wermutstropfen: Es war bis dahin ihr einziger Song,
den sie nicht selbst geschrieben hatte, sondern die Adaption eines
Titels von Prince.
Und
dabei hätten auch ihre eigenen Kompositionen vergleichbaren Ruhm
durchaus verdient: Etwa "Jerusalem", "Drink before
the War" oder das das sensationelle "Troy", allesamt
von ihrem hervorragenden Debütalbum "The Lion and the Cobra",
das sie erstmals zeigte, wie man sie seither kannte: zierlich, den
Kopf kahl rasiert, mit einem weit aufgesperrten Mund, der die Kraft
ihrer Stimme bereits ahnen ließ - aber auch die Radikalität
und die Schonungslosigkeit ausdrückte, mit der sie zu Werke ging.
Gewalt,
Krieg, Diskriminierung und Entrechtung waren immer wieder ihre Themen.
Der Irland-Konflikt, Englands Thatcher-Jahre, Misshandlung, all das
verarbeitete Sinéad O'Connor in ihrer Musik, und selbst wenn
das brachiale Vibrato ihrer Wut bereits auf ihrem zweiten Album "I
do not want what I haven't got" etwas gemäßigter klang,
so blieb dennoch der Eindruck, als ob sie mit jedem Song ihre eigenen
Fesseln sprengte. Doch gleichzeitig kehrte sie jedes Mal auch ihr
Seeleninneres nach außen.
Das
machte sie angreifbar, und ihre Kompromisslosigkeit lieferte reichlich
Stoff für Geiferer. Frank Sinatra wird die Aussage "Kick
her ass" zugeschrieben, nachdem sie sich in New Jersey geweigert
hatte die Bühne zu betreten, falls nicht auf das übliche
Absingen der Nationalhymne verzichtet würde. Später wurde
ihre Grammy-Nominierung annulliert, und als sie am Ende ihres Auftritts
in der Fernsehshow "Saturday Night Live" aus Protest gegen
die Gesellschaftspolitik der Katholischen Kirche ein Foto von Papst
Johannes Paul II zerriss, lief das Fass über: Zwei Wochen nach
der Ausstrahlung sollte sie bei einem Bob Dylan-Tribute im New Yorker
Madison Square Garden auftreten wollte, doch das Publikum buhte sie
von der Bühne. Der Eklat war perfekt.
Zu
diesem Zeitpunkt hatte sie auch einen ersten musikalischen Misserfolg
einstecken müssen. Dem Erwartungsdruck, der seit "Nothing
compares 2 U" auf ihr lastete, versuchte sie mit dem Album "Am
I not your Girl ?" zu begegnen, auf dem sie elf Klassiker der
Pop-, Jazz- und Musicalgeschichte gecovert hatte, darunter "Black
Coffee", "Don't Cry for Me Argentina", "Gloomy
Sunday", "How Insensitive" und "Why Don't You
Do Right ?". Das Projekt fiel bei Publikum und Kritikern gleichermaßen
durch - zu uninspiriert, zu unecht, zu wenig "sie selbst"
war Sinéad O'Connor auf dieser Platte, eingekeilt zwischen
einem 40-köpfigen Orchester und einem guten Dutzend Klassikern
der Popgeschichte, die ihre exaltierte Stimme in ein allzu enges Korsett
pressten, in dem sie ganz offensichtlich keine Luft bekam.
Nur
langsam erholte sie sich von privaten und beruflichen Rückschlägen.
1994 beteiligte sie sich mit einem von Bono (U2) und Gavin Friday
geschriebenen Song "You Made Me The Thief of Your Heart"
am Soundtrack zum Nordirland-Kinodrama "In the Name of the Father".
Im gleichen Jahr erschien auch ihr nächstes Album "Universal
Mother", auf dem sie überwiegend leisere und verhaltenere
Töne anschlug, daneben aber auch mit Drums&Bass-Elementen
und Kammermusik experimentierte und endlich wieder ihre Qualitäten
als Songschreiberin und Sängerin in den Vordergrund stellte.
Rückblickend ist "Universal Mother" ein Album von großartiger
und zeitloser Qualität - aber trotz positiver Kritiken konnte
es nicht an die ersten Erfolge anknüpfen.
Neben
ihren eigenen Projekten widmete sie sich immer wieder Kooperationen
mit anderen Bands und Musikern. Die Liste ihrer Gastauftritte, Tribute-
und Compilation-Beteiligung füllt Seiten. An dieser Stelle können
lediglich einige Beispiele genannt werden: Auf einem Tribut-Album
für Elton John ("Two Rooms") sang sie eine Herz zerreißende
Fassung von "Sacrifice", mit Peter Gabriel nahm sie das
Duett "Blood of Eden" auf, Den algerischen Musiker Abdel
Ali Slimani unterstützte sie auf dessen Alben "Mraya".
Sie sang mit den Chieftains, Shane McGowan (Ex-The Pogues), Terry
Hall, Manu Dibango, Willie Nelson, Jah Wobble, Zucchero, Moby, nahm
1990 an der Wiederaufführung des Pink Floyd-Klassikers "The
Wall" in Berlin teil - usw. usf.
Einige
dieser Kooperationen fanden inzwischen den Weg auf das Album "Collaborations",
Dokumente der Aktivitäten von Sinead O'Connor in den vergangenen
Jahren, die das Bild dieser ungemein vielseitigen Interpretin abrunden.
Zu
diesem Bild gehört dann auch die an sich unscheinbare EP "Gospel
Oak", die sie 1997 veröffentlichte. Die fünf von ihr
geschriebenen Kinderlieder gehören zu ihren überzeugendsten
Kompositionen überhaupt. Nie zuvor war Sinéad O'Connor
so leise und zärtlich zu erleben wie in diesen schlichten und
völlig unspektakulären, wunderschönen Wiegenliedern.
In
der Tradition von "Gospel Oak" steht in gewisser Weise auch
"Sean-nós nua", ihr bis dato letztes Album. Darauf
erweckte sie alte irische Traditionals zu neuem Leben, ein gelungenes
Projekt, das zusammen mit ihrer erfolgreichen Massive Attack-Kooperation
die Hoffnung nährte, Sinéad O'Connor habe schließlich
doch noch zu sich selbst und ihrer Stärke zurückgefunden.
Statt
dessen die Ankündigung des Abschieds. Sie sei, so schrieb sie,
ein schüchterner Mensch und wolle keine "berühmte"
Person mehr sein. Sie wünsche sich statt dessen ein "normales"
Leben. Man möge sie in Ruhe lassen und ihr Privatleben respektieren.
Doch
exakt in dem Moment, als sich die Musikwelt mit ihrem Abschied abgefunden
hatte, mehrten sich die Gerüchte über eine bevorstehende
Rückkehr. Seit Ende September 2005 liegt ein Beweis ihres Comebacks
in den Plattenläden: "Throw down your arms" heißt
die CD, aufgenommen im April 2005 in Kingston/Jamaica. Der Ort lässt
bereits vermuten, was die Musik bestätigt: Sinéad O'Connor
hat tatsächlich ein Reggae-Album aufgenommen, eine Facette, die
sie auf ihren vorigen Alben gelegentlich andeutete, jetzt erst jedoch
voll entfaltet.
Man
muss Sinéad O'Connor nehmen, wie sie ist. Es gibt keinen Unterschied
und keine Grenze zwischen ihr als Musikerin und als Privatperson,
und wie in unser aller Leben gibt es auch in ihrem Dasein Phasen der
Inkonsequenz und der Widersprüchlichkeit.
Neuerdings
drängt es sie mit ihrem neuen Material wieder in die Öffentlichkeit.
Es gibt eine neue Website, und sogar Konzerte will sie wieder geben.
Die irische Variante der Jamaica-Koalition "Throw down your arms"
ist es allemal wert, Sinéad O'Connor wie eine überraschende
Heimkehrerin mit offenen Armen in Empfang zu nehmen.
©
Michael Frost, 15. Mai 2003
Update: 04.10.2005
Hinweis:
Das Album "Throw down your arms" wird in Deutschland exklusiv
in einer Doppelversion veröffentlicht: "Neben den Albumtracks
wird es von jedem Song eine Dub-Version, für die das bekannte
Duo Sly Dunbar und Robbie Shakespeare Hand angelegt haben, enthalten
sein ..." (Pressetext).
"Throw down your arms" erschien bei
Ministry of Sound/Chocolate and Vanilla)