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"Meine Lieder begleiten mich durch die Nacht"


"Meine Lieder begleiten mich durch die Nacht", sagte Lhasa dem französischen Musikmagazin "Les Inrockuptibles" nach der Veröffentlichung ihres dritten, selbst betitelten Albums. Sie hatte es - im Gegensatz zu den beiden Vorgängern - komplett auf Englisch eingesungen und damit vor allem ihre Anhänger im spanischen und französischen Sprachraum überrascht. Doch Lhasa ließ keinen Zweifel daran, dass Englisch ihre Muttersprache sei, in der sie ihre Gedanken am besten ausdrücken könne. Spanisch verdanke ihrem aus Mexiko stammenden Vater, Französisch ihrem Wohnort Montreal im frankophonen Teil Kanadas.

Dennoch waren diese Merkmale einer multikulturellen Herkunft auch immer Bestandteile ihrer Musik. Ihre Einflüsse hatte sie bei der Vorstellung ihres Debüt-Albums "La llorona" zwischen "Billie Holiday, Chavela Vargas, Tom Waits, Cucu Sanchez, Maria Callas, Victor Jara und Jacques Brel" eingeordnet, später kamen Vorreiter des Indie- und Antifolk hinzu, Bonnie Prince Billie etwa, dessen Musik sie das Interesse für eine Art Alternativ-Country verdanke - traditionellen Country habe sie nämlich nie gemocht.

Für "La llorona" wurde Lhasa in der Kategorie "Weltmusik" ausgezeichnet, vermutlich mehr aus Verlegenheit denn aus Überzeugung: In alle anderen Kategorien hätte sie noch weniger gepasst. Doch ihr gelang es auf unvergleichliche Weise, die losen Enden ihrer Herkunft so eng miteinander zu verweben, dass daraus schließlich ein wunderschöner Klangteppich entstand, der mal in den Farben von Jazz, Mariachisound, Chanson, Folk und Blues schimmerte, strahlend hell und bunt.

 

Ihren Sound ließ sie am liebsten in privater Atmosphäre entstehen. Ob "La llorona", ihr instrumental aufwändigstes Album, oder "Lhasa", das bisweilen mit einer Harfe als Begleiterin auskommt, für Lhasa war unverzichtbar, dass ihre Musik live entstand. "La llorona" nahm sie in ihrer Küche auf. "Lhasa" entstand während einer kaum mehr als zweiwöchigen Studiosession. Solchermaßen verdichtet klingt sein Sound wie die Vertonung einer einzigen durchwachten Nacht und einer erstaunlichen Symbiose der Musiker, die, wie Lhasa erzählte, tatsächlich alle aus dem gleichen Viertel von Montreal stammen. Ein erstes gemeinsames Konzert habe das Ensemble derart beflügelt, dass man sofort ins Studio ging - übrigens eine analoges Tonstudio ohne Computer.

 

Heute ahnt man, welch große Bedeutung die Intimität, die Ehrlichkeit und der Verzicht auf jeden nicht authentischen Effekt für Lhasa gehabt haben muss, die zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits von ihrer Krebserkrankung wusste. Eine im Anschluss an die Album-Präsentation in Montreal, Paris und Reykjavik geplante Europatournee musste sie absagen, und in der Nacht zum 01. Januar 2010 erlag Lhasa de Sela im Alter von nur 37 Jahren ihrer Erkrankung. Sie hinterlässt einen großen Familien- und Freundeskreis, Fans in aller Welt und drei wegweisende Alben, die von nachfolgenden Künstlern zweifellos immer wieder zitiert werden.

Nach ihrem Tod, heißt es in dem letzten Bulletin auf ihrer Website, schneite es in Montreal über vierzig Stunden lang.

© Michael Frost, 10.01.2010

 

 

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