Man
stelle sich folgende Situation vor: Eine Band spielt an jedem Wochenende
in dem selben Club in der selben Stadt. Das Publikum, regelmäßig
2000-4000 Menschen, stimmt über die zu spielenden Songs ab. Auch
während der Woche kommen die Menschen in den Club, der für
sie viel mehr ist als eine Konzerthalle. Er ist ein Kommunikationszentrum,
Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen. Die Wände
zieren Bilder von Malcolm X, Martin Luther King und Nelson Mandela.
Der Ort entfaltet eine ungeheure soziale Energie, die den Mächtigen
des Landes alsbald suspekt erscheint, weshalb sie regelmäßige
Polizeidurchsuchungen anordnen.
Was
die Ordnungs"hüter" bei den wöchentlichen Konzerten
zu hören bekommen würden, dürfte den allmächtigen
Regierungschef nicht wirklich beruhigen. Vielleicht ist es die große
internationale Aufmerksamkeit, die schlimmere Repressionen verhindert.
"Sie haben uns beschissen", singt der Bandleader auf der
Bühne seines Clubs nämlich mit unverblümter Deutlichkeit
in Richtung der Regierung seines Landes, "sie beschissen die
Marktfrau, die Journalisten, die Menschenrechtsaktivisten - im Namen
der Demokratie".
Die
Rede ist von Femi Kuti. Der weit über die Grenzen Nigerias hinaus
bekannte Sänger und Saxophonist eröffnete im Oktober 2000
den "Africa Shrine" in der Hauptstadt Lagos und lädt
seitdem regelmäßig zum "Sunday Jump". Bereits
sein Vater Fela gilt als afrikanische Legende. Verschiedentlich wurden
Orte, an denen er mit seiner Band aufgetreten war, später in
"African Shrine" umbenannt. Denn wie heute sein Sohn war
Fela Kuti ein engagierter Vertreter des so genannten "Panafrikanismus",
einer Bewegung, die auf Einigung des von Hass und Gewalt geprägten
Kontinents abzielt.
Vater
und Sohn gelang gleichermaßen das Kunststück, die Forderung
nach einem vereinigten Afrika in Musik umzusetzen. Das Ergebnis, Afrobeat
genannt, ist eine leidenschaftliche Mischung aus traditionellen Tänzen,
Funk, Soul, Jazz und Reggae. Mit diesem Rhythmus gerät tatsächlich
jedes Konzert zwangsläufig zum explosiven Ereignis. Femi Kutis
Familie war deshalb ständiger Verfolgung durch die Militärs
ausgesetzt, bishin zur Ermordung seiner Mutter. Fela Kuti selbst starb
1997 an AIDS - ein, wie wir heute wissen, fast schon ein typisches
afrikanisches Schicksal - in einzelnen Ländern beträgt die
HIV-Infektionsrate 20% der Bevölkerung.
Femi
Kuti hat längst das musikalische Erbe seines Vaters angetreten.
In dem Song "'97" verarbeitete er nicht nur den Abschied,
sondern auch den Tod seiner schwer kranken Schwester Sola, für
den er die Mediziner verantwortlich macht: "Die Ärzte wollten
Geld, damit sie überlebt."
Inzwischen
veröffentlichte Fela Kuti mehrere Alben in der musikalischen
Tradition des Afrobeat, wie er von seinem Vater geprägt wurde.
Doch darüber hinaus versucht er - wiederum auf Grundlage der
panafrikanischen Idee - den Schulterschluss mit aktuellen Rhythmen
wie Hiphop und R&B und erweitert damit den Sound seines Vaters.
Trotz
seines internationalen Erfolgs blieb Femi Kuti in Nigeria, obwohl
die politischen Bedingungen sich kaum verbessert haben. Nigeria hat
zwar seit 1999 eine neue, "demokratische" Verfassung, doch
die Regierung von Präsident Obasanjo gilt als brutal und korrupt.
Internationale Kritik muss sie deswegen allerdings kaum fürchten:
Nigeria ist Afrikas bedeutendster Erdöl-Exporteur. So sieht Femi
Kuti die Hoffnung der Nigerianer auf Demokratie als verraten an: Die
Militärjunta von gestern ist die Regierung von heute, installiert
und gestützt durch den Westen und seine ökonomischen Interessen.
Sein
Engagement, sein Mut und die in seiner Musik verkörperte Einheit
von künstlerischem Ausdruck und politischer Aussage machen Femi
Kuti zu einem der wichtigsten Musiker des afrikanischen Kontinents.
Nachvollziehbar wird das Phänomen Kuti durch die aktuelle Veröffentlichung
"Africa Shrine". Der französische Toningenieur Sodi
reiste im Frühjahr 2004 gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Raphael
Frydman nach Lagos und zeichnete einen der Auftritte von Femi Kuti
in seinem Club auf. Dieses Konzert ist nun sowohl auf CD als auch
auf DVD erschienen. Der Mitschnitt ist hochklassig: Mit fast zwanzig
Instrumentalisten erreicht Femi Kutis Begleitband "The Positive
Force" fast Orchesterstärke, hinzu kommen dann noch Tänzer
und Background-Sänger. Die DVD enthält neben der Konzertaufnahme
Interviews mit Femi Kuti selbst, seinen Mitarbeitern im "Africa
Shrine" und Aufnahmen aus Lagos. So wird man umfassend Zeuge
der "positiven Kraft", die von Kuti und seinen Begleitern
ausgeht und von seinen Fans begierig aufgesogen wird. Ob diese Energie
nahtlos vom "Africa Shrine" in deutsche Konzertsäle
übertragen wird, kann übrigens noch im laufenden Monat getestet
werden: Femi Kuti und "The Positive Force" kommen für
einige Konzerte nach Deutschland.
©
Michael Frost, 09.10.2004