Die Arbeit schien getan. Das Debütalbum von 2001 wurde nicht zuletzt dank seines programmatischen Titels "Quiet is the new loud" Symbol einer vermeintlich neuen Strömung: Plötzlich sprach man - nach Jahren des überproduzierten Drums&Bass-, Hiphop- und Techno-Krawalls wieder vom schüchternen "Singer/Songwriter", vom "Indie-" oder "Anti-Folk" - vom strahlenden Schein des Unscheinbaren.
Eirik Bøe und Erlend Øye aus der norwegischen Küstenstadt Bergen waren auf einen Schlag in aller Munde, obwohl - oder weil - sie nichts anderes getan hatten als zahllose Gleichaltrige und ihre Elterngeneration, nämlich fragile, ein wenig postpubertär klingende Balladen zum eigenen Geklampfe zu singen.
Doch im Zeitalter der Digitalisierung nicht nur der Musikformate, sondern auch der Musik selber, erschien das Beharren der beiden Norweger auf dem reinen, unverfälschten Akustiksound wie eine trotzige Antwort auf die im Computer generierten Sounds, die zu Beginn des Jahrzehnts vor allem durch ein anderes Duo vertreten wurde: Air. Als die Kings of Convenience "Quiet is the new loud" veröffentlichten, gingen die französischen Kollegen gerade mit ihrem bis heute besten Album an den Start: "10000 hz legend". Selbst das Cover war eine stylische Computergrafik, die auf der eigens erstellten Website beeindruckend animiert wurde. Øye und Bøe setzten wackelige Schnappschüsse mit Abiturienten-Charme dagegen, verzichteten nicht nur auf digitale Soundelemente, sondern abgesehen von ihren Gitarren nahezu auf sämtliches instrumentales Beiwerk. "Music your parents like too" ist bis heute auf ihrer "myspace"-Seite als Referenz zu lesen - tatsächlich erschien das Doppel vielen als rechtmäßiger Nachfolger der Songwriter-Ikonen Simon & Garfunkel.
Die Geschichte der Kings of Convenience seit 2001 ist vor allem eine Geschichte von Auszeiten. Denn abgesehen von einem Remix-Album ("Versus") und dem zweiten Werk "Riots on an empty street" (2004) gingen Eirik und Erlend getrennte Wege und trafen nur für gelegentliche Konzertreisen wieder aufeinander. Vor allem Erlend Øye "wilderte" zwischendurch in fremden Gefilden, nahm ein minimalistisches Elektropop-Album auf ("Unrest" 2003) und arbeitete mit den Kollegen von Röyksopp zusammen ("Poor Leno"). Die Weiterführung des inzwischen zum "New acoustic movement" angewachsenen "Quiet is the new loud"-Postulats überließen sie anderen: Damian Rice, José Gonzalez, Emiliana Torrini, Dawn Landes, Keren Ann, Anna Ternheim, Beth Gibbons & Rustin Man und Petra Jean Phillipson sind nur einige der überragenden "Leisetreter" der letzten Jahre.
Doch nun scheint die Zeit für das Comeback gekommen. Während eines gemeinsamen Aufenthalts in Mexiko sei der Gedanke an ein drittes Album gereift, bereichten Erlend Øye und Erike Bøe heute. Und während die Plattenfirma eifrig bemüht ist, das Album als "Beginn einer neuen Ära" und als das "erwachsenste, reifste" Werk anzupreisen, stellt man beim Hören fest, dass sich die "Kings" im positiven Sinne überhaupt nicht verändert haben. Fast schon trotzig halten sie an ihrem Akustikkonzept fest, an der flüchtigen Stimmung morgendlichen Frühnebels, der alsbald durch die ersten Sonnenstrahlen durchbrochen wird. "Quiet IS the new loud" hätten sie die CD zunächst nennen wollen, mit deutlicher Betonung und groß geschriebenem "IS", und nur aufgrund der Verwechslungsgefahr mit der Debütplatte hätten sie darauf verzichtet.
"Declaration of dependence", die Abhängigkeitserklärung also, ist jedoch ein ähnlich programmatischer Titel. Denn die inzwischen Ü30-Jährigen sagen damit, dass sie nicht dauerhaft ohne einander können. Erlend Øye, der einige Jahre in Berlin verbrachte, ist nach Bergen zurück gekehrt, wo auch Eirik Bøe, nach einiger Zeit in London, inzwischen mit Frau und Kind lebt. Und es scheint, als bedingten Musik und Umgebung einander: Auch wenn es wohl keinen spezifisch "norwegischen" Klang ihrer Musik gibt, so ist es doch die Intimität des Vertrauten, die Stil und Atmosphäre prägt.
Den Mangel an musikalischer Weiterentwicklung, den man Musikern im Falle fortwährender Selbstwiederholung vorwirft, wird man im Falle der Kings of Convenience als Pluspunkt verbuchen: In ihrem Fall ist der Stillstand Ausdruck von Beharrlichkeit und Überzeugung. Und ganz nebenbei ist "Declaration of dependence" ein wiederum großartiges, stimmiges und atmosphärisches Songwriter-Album mit perfekter Harmonie zweier Gesangsstimmen und zweier Gitarren, die sich, abgesehen von einem sehr gelungenen Ausflug in den Gypsy-Swing ("Boat behind") niemals aus der Ruhe bringen lassen.
Videolink: Kings of Convenience "Soirée de poche" / ARTE
Interessanterweise erscheint "Declaration of dependence" erneut nahezu zeitgleich mit einer neuen CD von Air. Im direkten Vergleich wird man erleben können, ob die Franzosen mit der gleichen Souveränität an ihrem elektronischen Soundmuster festhalten. Als Protagonisten ihrer jeweiligen Genres gehören beide Duos in jedem Fall zu den einflussreichsten Musikern des zu Ende gehenden Jahrzehnts.