Etwas Verstörendes liegt in der Luft. "He hit me", singt eine Jungenstimme mit zerbrechlichem Falsett, "he hit me, and it felt like a kiss". Das Original stammt aus den 60ern, die Band, die es damals sang, hieß "The Crystals". Der Band wurde damals vorgeworfen, der Song billige Gewalt in der Ehe. Der Coverversion der New Yorker Band Grizzly Bear wird man diesen Vorwurf nicht machen können. Ihr Sound ist deart irritierend und unterkühlt, dass man sich nur schwerlich in den Song einfühlen kann, man bleibt distanziert und achtsam - wie auch bei den übrigen Songs, die ihre EP "Friend" enthält.
Grizzly Bear sind eine inzwischen viel beachtete Indie-Band. Ihre Lo-Fi-Produktionen, die noch immer den Charme des zum Aufnahmestudio umgewandelten Wohnzimmers atmen. Christopher Bear, Edward Droste, Daniel Rossen und Christopher Taylor werkeln mit Gitarren, Holzblasinstrumenten, Banjo und Schlagzeug an ihrem "Anti-Folk"-Konzept. Dabei ist ihr Sound nur vordergründig leise und akustisch im traditionellen Sinne. "Lullabye" etwa, ein Song ihres Albums "Yellow House", türmt sich zwischendurch meterhoch auf, dramatischer Chorgesang und E-Gitarren durchbrechen mit fast sakralem Pathos die heimelige Schlaflied-Atmosphäre.
Der vielstimmige Gesang ist es vermutlich, der die dänische Band Efterklang auf Grizzly Bear aufmerksam machte - die musikalische Verwandtschaft ist offensichtlich, auch wenn Grizzly Bear in ständig spürbarer Auseinandersetzung mit Folk und Postrock-Elementen bleiben und sich immer wieder durch die Abgrenzung definieren zu scheinen, während Efterklang hier noch einen Schritt weiter gehen.
Das Efterklang-Label "Rumraket" war es jedenfalls, das die erste Grizzly Bear-EP "Horn of Plenty" 2005 in Europa veröffentlichte. Das Album-Debüt "Yellow House" im darauf folgenden Jahr erschien bereits wei Warp Records, einem renommierten Independent-Label, bei dem u.a. Aphex Twin und Maximo Park unter Vertrag sind.
Mit "Friend" liegt nun eine weitere EP von Grizzly Bear vor. Es enthält teils neue, teils neu eingespielte Songs und Remix-Versionen von "Yellow House", mit denen die Band versucht, ihren Sound nochmals zu verfeinern und die eigenen Grenzen auszuloten, vielleicht auch vorbereitend für das zweite Album - das ja bekanntlich immer das schwierigste ist, insbesondere dann, wenn das Debüt so hoch gelobt wurde.
In ihrer Coverversion von "Knife" verwandeln CSS das Stück in einen Elektropop-Song à la Air, während Band of Horses "Plans" in einen galoppiernden Countrysong mit Banjo und Hammerklavier uminterpretiert, der sich im zweiten Teil in ein albtraumhaftes Szenario verwandelt - es scheint, als ob Grizzly Bear über Remix-Freunde mit sehr unterschiedlichen Präferenzen und durchaus eigenwilligem Humor verfügen. Doch das gilt ja auch für sie selbst, und übrigens auch für die Festivalorganisatoren von Roskilde bis Coachella, die Grizzly Bear bereits ins Programm holten, oder Feist, mit der die Band auf Tour ging. Und das ist alles erst der Anfang!
© Michael Frost, 04.01.2008