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Ohne Rast und Ruhe


Die Grammys für die Vorjahresalben sind eben erst vergeben, da legt Ani DiFranco bereits nach. "Educated Guess" erhielt zwei Nominierungen für die 47. Grammy Awards, darunter für das beste Folk-Album und, wie bereits "Evolve" im Jahr zuvor, für das Package-Design. In beiden Kategorien könnte auch "Knuckle down" ausgezeichnet werden, denn Ani DiFranco hat vor allem diesen Vorzug: Sie bleibt sich treu, sich und ihrem unverändert hohen Niveau.

"I was born to two immigrants" erzählt sie in ihrem neuen Song "Paradigm". Ihre Eltern empfanden es als Privileg, Steuern für Schulen und Straßen zahlen zu können, sich in politischen Kampagnen zu engagieren, und sie selbst sei aufgewachsen "in einem Raum zwischen Frauen, die Briefmarken klebten und dabei lachten" - ein früher, prägender Eindruck gelebter Demokratie.

Beim Versenden von Briefen ist es nicht geblieben. Gezielt und kompromisslos nutzt Ani DiFranco ihre Popularität, um das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die kleinen und großen Ungerechtigkeiten in der Welt - oder auch bloß in der Nachbarschaft - zu legen.

Besonders am Herzen liegen ihr Frauenrechte und der Status von Minderheiten, aber auch im internationalen Zusammenhang ist sie engagiert. Zuletzt veröffentlichte sie auf ihrem eigenen Label, das sie gegründet hatte, um sich gegenüber der allein an Profiten interessierten Plattenindustrie künstlerische Unabhängigkeit zu bewahren, ein Benefizalbum für die birmesische Oppositionspolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Auf dem Doppelalbum "For the Lady" versammelte sie u.a. U2, Pearl Jam, REM, Avril Lavigne, Peter Gabriel, Paul McCartney, Eric Clapton und Sting, mithin die erste Liga der internationalen Rockszene. Sie selbst unternahm einen Trip nach Birma, um sich vor Ort einen Eindruck von der politischen und sozialen Lage zu machen.

Die Rastlosigkeit ist vielleicht ihr Markenzeichen. Ebenso wie der Beweis, dass gesellschaftliches Engagment und künstlerischer Erfolg kein Widerspruch sein müssen.

Wenigstens ein Album veröffentlicht Ani DiFranco pro Jahr. Schon während ihres Studiums In New York arbeitete sie an ihrem Sound, entwickelte das für sie charakteristische Gitarrenspiel, feilte an ihren Texten und gründete alsbald ihre eigene Firma "Righteous Babe", anstatt Zeit damit zu verschwenden, Demobänder an Plattenfirmen zu verschicken.

Inzwischen, so steht es in ihrer Presse-Biografie, habe man bei Righteous Babe, das seinen Sitz weiterhin in Ani DiFrancos Heimatstadt Buffalo hat, aufgehört, ihre Platten zu zählen - ihr eigener Output ist enorm, und hinzu kommen die Produktionen anderer Musiker, die bei Righteous Babe unter Vertrag sind. Dazu gehört u.a. auch Arto Lindsay, ein international hoch gelobter Soundtüftler, der mit Bossanova, Elektro und Drums&Bass experimentiert.

In ihrer Rolle als Sängerin, Gitarristin, Autorin, Coverdesignerin und Plattenboss hat Ani DiFranco praktisch alle Fäden ihrer Karriere in der Hand. Das erklärt ihren authentischen Ausdruck, jedoch noch nicht ihren Erfolg beim Publikum. Mit dieser Frage beschäftigte sich jüngst Sänger-Kollege Bruce Cockburn: "In ihren Songs reflektiert sie das reale Leben. Das Leben auf den Straßen, das Leben von Völkern, das Leben von Leuten, die mit Macht umgehen - oder mit dem Fehlen derselben, die zwischen Einsamkeit, Schmerz und der Komplexität von Beziehungen nach dem Glück suchen."

Um diese Bandbreite geht es selbstverständlich auch auf "Knuckle down", ihrem neuen Album. Das hat sie, im Unterschied zum im Alleingang produzierten "Educated guess", nicht nur mit Gastmusikern aufgenommen, sondern sogar koproduzieren lassen. Joe Henry, selbst ein gefragter Solokünstler, arbeitete mit ihr an den zwölf Songs. Vielleicht ist es seinem Einfluss und dem der sechs Begleitmusiker zu verdanken, dass Melodien und Arrangements deutlicher in den Vordergrund neben die Texte treten.

Vom "Folk Punk" ihrer ersten Platten hat sich Ani DiFranco zwar schon lange verabschiedet, doch eckig und kantig blieb ihr Ausdruck bis heute, und inhaltlich hat sich daran auch auf dem neuen Album nichts geändert. Deshalb darf man "Knuckle down" getrost schon mal vorab auf die Nominierungsliste für die 48. Grammy-Verleihung setzen. Vielleicht auch in einer neu einzurichtenden Kategorie: "Ani DiFranco Album of the Year".

© Michael Frost, 01. März 2005

 

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