Selten
wohl war eine Album-Geburt so hürdenreich. Bereich im letzten Jahr
sollte der Nachfolger des Erfolgsalbum der Cardigans von 1998 "Gran
Turismo" das Licht der Welt erblicken. Doch daraus wurde nichts.
Das schwedische Quintett verwarf alle bis dahin gefertigten Einspielungen
und begann von vorn. "Nach einigen Arbeitswochen in Spanien lag
ich nachts wach", erzählt Peter Svensson, Autor der meisten
Cardigan-Titel. "Ich stand am Beginn der schlimmsten Krise, die
ich als Musiker je erlebt habe, und das aus dem einzigen Grund, weil
ich das Gefühl hatte, das wir den Level, den wir mit dem Album
angepeilt hatten, nicht erreicht hatten."
In
der Tat sind die Erwartungen hoch. Seit ihrem Platten-Debüt mit
"Emmerdale" (1994) gelten die "Cardigans" als
eines der wichtigsten Aushängeschilder der kleinen, aber feinen
Popszene Schwedens. Das internationale Publikum entzücken sie
vor allem mit naiv-beschwingten Popsongs, die nie richtig fröhlich,
doch auch nie endgültig melancholisch klangen, aber immer ein
wenig verträumt und rosa-rot.
Nina Persson, gesegnet mit einer hintersinnig-distanzierten Stimme,
die man aus tausenden anderer heraushören könnte, drückt
dem Cardigan-Stil ihren Stempel auf. Tom Jones holte sie für
sein Coversongs-Projekt "Reload" (Gemeinsam gaben sie den
Talking Heads-Klassiker "Burning down the house"), und der
französische Nachwuchs-Rocker Damien Saez wollte Nina Persson
als Begleiterin, als er für Artes Musiksendung "Music Planet
2Nite" vor die Kameras gebeten wurde.
Diese
Projekte liegen jedoch bereits in der Zeit nach 1998, also nach der
Veröffentlichung des letzten Albums "Gran Turismo",
ihrem bislang größten Erfolg, mit dem die Cardigans auch
letzte Zweifler überzeugen konnten. Vorher war ihnen nämlich
das Attribut "Easy Listening" übergestreift worden,
nicht ganz unverständlich, wenn man ihre früheren Alben
hört, aber auch nicht ganz zutreffend, weil die Zuschreibung
die tiefer liegenden Aspekte ihrer Musik verkennt.
Vor
"Gran Turismo" galten die Cardigans als allzu gefällig,
seit sie vom internationalen Publikum erst im Zusammenhang mit dem
Film "Romeo & Juliet" wahrgenommen wurden. Für
den Kassenschlager steuerten sie den Song "Lovefool" bei,
der parallel zum Filmerfolg die Musikcharts in Europa, den USA und
Japan stürmte. Erst mit "Gran Turismo" und der rockigen
Grundstimmung des Albums gelang es ihnen, das Image der "Fahrstuhlmusik"
abzustreifen.
Die
ausgiebige Bandpause seit "Gran Turismo" nutzten die Bandmitglieder
in verschiedener Weise. Zwischendurch meldeten sie sich immer wieder
mal mit einzelnen Songs für Filmsoundtracks zurück (u.a.
für den Kinofilm zur Fernsehserie "The X-Files") und
traten damit auch Trennungsgerüchten entgegen.
Peter Svensson produzierte beispielsweise das Album-Debüt des
schwedischen Nachwuchs-Stars Titiyo.
Bassist Magnus Sveningsson, auf "Emmerdale" immerhin noch
als Texter fast sämtlicher Songs aufgeführt, wurde in dieser
Funktion im Laufe der Jahre immer mehr durch Nina Persson abgelöst.
Seine eigenen Kompositionen veröffentlichte er im vergangenen
Jahr in Schweden als Solo-Album als "Righteous Boy" - eine
wirkliche Perle der skandinavischen Popmusik, der die gebührende
internationale Aufmerksamkeit bislang leider versagt blieb.
Schon
vorher war Nina Persson ihrerseits unter dem Namen "A Camp"
mit einem schon deutlich erfolgreicheren Solo-Album reüssiert.
Ihr Soloprojekt verdeutlichte auch, wie sehr der Cardigan-Sound von
ihrer Stimme abhängt. Melodien und Arrangements ordnen sich ihr
wie selbstverständlich unter.
Den
Einfluss der anderen vier (neben Svensson und Sveningsson gehören
noch Schlagzeuger Bengt Lagerberg und Keyboarder Lasse Johansson dazu)
wird man Ende des Monats beurteilen können, wenn "Long gone
before daylight", das fünfte Album der Cardigans, endlich
in den Läden liegt. Ersten Hörproben zufolge dürfte
es dann auch wieder etwas lauter zugehen, gitarrenlastiger und temporeicher,
aber auch konzentrierter und zugespitzter. Die Cardigans bewegen sich
mit "Long gone before daylight" weiter in Richtung Rock.
Doch
auch vor einem lauteren Hintergrund bleibt Nina Perssons Gesang der
Dreh- und Angelpunkt der Cardigans und damit die weithin hörbare
Sirene in den schwierigen Gewässern der internationalen Musikszene,
die es Bands aus nicht-englischsprachigen Ländern noch immer
unverhältnismäßig schwer macht.
©
Søren Salskov, 01. März 2003