Man
kann gar nicht genug von ihnen bekommen. Und fragt sich, wer es ihnen
so schwer macht, in Westeuropa Fuß zu fassen. In Lettland, ihrer
Heimat, aber auch in den baltischen Nachbarstaaten, außerdem in
Polen und Ungarn, ja, bis nach Skandinavien hat sich ihr Name längst
herumgesprochen: Brainstorm. Die fünf sympathischen Musiker sind
vielleicht der spannendste Musikexport Osteuropas, und schon längst
haben sie es verdient, auch in den westeuropäischen Charts ganz
oben zu stehen.
Nicht
etwa, weil sie die Musikwelt revolutionieren würden. Ihr Energie
geladener, fröhlich charmanter Europop versprüht einfach
jede Menge Lebensfreude, Ausgelassenheit und Spaß, ist also
mit einem Wort: mitreißend.
Dem
gesamteuropäischen Publikum stellte sich Brainstorm im Frühjahr
2003 erstmals vor. Lettland nahm zum ersten Mal am Eurovision Song
Contest teil und schickte Brainstorm. Reynard Cowper, charismatischer
Frontmann mit stechendem Blick und seltsamen Verrenkungen, nutzte
die Chance und setzte mit seinen Mitstreitern Johny U White (Gitarre),
Muminsh (Bass), Nick Rogue (Schlagzeug), Mike Minolta (Keyboards)
und ihrem Titel "My Star" einen der seltenen Glanzpunkte
in der Geschichte des "Grand Prix de la Chanson". Der 3.
Platz war die Belohnung für den phänomenalen Auftritt -
mehr war angesichts ihrer extravaganten Perfomance nicht drin. Doch
wer (außer Hape Kerkeling vielleicht) erinnert sich heute noch
den Siegertitel ?
Seither
pendelt ihr Status in Deutschland zwischen Geheimtipp und Karrierestart.
Dem Grand Prix folgten einige Konzerte, u.a. auf der Weltausstellung
2000 in Hannover, wo der lettische Pavillon eigens Brainstorm-CDs
ins Merchandising-Programm aufnahm. Davon gab es bereits einige. Das
erste Album der Band ist von 1993. Es heißt "Vairak neka
skali" und ist, wie der Titel vermuten lässt, in lettischer
Sprache. Lettisch ist eigentlich auch der Bandname: Prata Vetra. Lediglich
für die internationalen Veröffentlichungen nennt sich die
Band "Brainstorm", wird Sänger Renars Kaupers zu "Reynard
Cowper".
Erst drei ihrer insgesamt zehn Alben gibt es in englischer Sprache:
Das erste war "Among the Suns" und wurde nach dem Grand
Prix-Auftritt 2000 veröffentlicht. Ihm folgte "Online"
(2001), und nunmehr kann man sich über das dritte Album freuen:
"A day before tomorrow", in den baltischen Ländern
in der lettischen Version "Dienas, kad lidlauks parak tals"
bereits wieder ein Riesenerfolg.
Vielleicht
gelingt der endgültige Durchbruch mit diesem Album. Produziert
wurde es von Alex Silva, Herbert Grönemeyers langjährigem
Kooperationspartner, und Steve Lyon (u.a. Depeche Mode, The Cure).
Gemeinsam mit Star-Fotograf Anton Corbijn setzten sie die Letten ins
rechte Licht. "A day before tomorrow" ist stilistisch abwechslungsreicher
als die vorangegangenen Brainstorm-Alben. Der Stilmix reicht von harmonischen
Balladen bis zu gitarrenlastigen Rock-Nummern in einer Spannbreite
zwischen A-ha, U2 und REM, ist also immer gesangsbetont, melodiös
und perfekt arrangiert. Zahlreiche Gastmusiker, darunter das Rigaer
Kammermusikorchester, machen "A day before tomorrow" zur
wohl aufwändigsten Produktion aller bisherigen Brainstorm-Alben.
Der
Sound ist druckvoll, selbst die verhalteneren Lieder entfalten ungeahnte
Kräfte und unterstreichen das enorme Potenzial der fünf
Letten als Songwriter und Musiker - und natürlich das ungebrochene
Charisma von Renars-Reynard Kaupers-Cowper, Kopf und Stimme der Band.
Brainstorm,
die bereits mit Depeche Mode und den Rolling Stones auftraten, sind
langjährige Profis und Superstars in ihrer Heimat. Hierzulande
jedoch sind sie die Newcomer, die mit jugendlichem Enthusiasmus zu
Werke gehen. Diese ungewöhnliche Mischung aus Unbekümmertheit
und Erfahrung macht vielleicht den besonderen Reiz der Band aus.
©
Michael Frost, 01. Oktober 2003