Begibt
man sich auf die Suche nach Biyouna, tauchen viele andere Namen und
Zuschreibungen auf. Sie sei die Marianne Faithfull des Orients, ist
zu lesen, wohl eine Anspielung auf den derben, rauen Klang ihrer Stimme.
Oder: Biyouna sei die algerische Melina Mercouri. Die griechische Sängerin
und Schauspielerin (u.a. "Topkapi") brachte es einst sogar
bis zur Kultusministerin ihrer Heimat.
Auch
Biyouna ist sowohl Sängerin als auch Schauspielerin. Demnächst
spielt sie an der Seite von Jane Birkin (noch ein Name!) in einer
Aufführung der "Elektra". Ihre zahlreichen Filme machten
sie in Algerien zum Star; durch die arabischen Migranten gelangte
sie auch in Frankreich zu einigem Ruhm. Dort erschien bereits 2002
ihr Album-Debüt "Raid Zone", auf das nun mit einigem
Abstand "Blonde dans la Kasbah" folgt.
Der
Albumtitel ist eine Hommage an ihre Mutter, die "Platinblonde
in der Kasbah". "Ob tagsüber oder nachts, ihre blonden
Haare waren immer schön frisiert", erinnert Biyouna sich
im Interview mit der Zeitung "Humanité". Im Titelsong
heißt es: "Djemila, Djemila, plus belle encore que Dalida
..." - Djemila, noch schöner als Dalida.
Ihre
Mutter sei auch ihre wichtigste Förderin gewesen, erzählt
Biyouna. Sie habe sie zu ihrer künstlerischen Karriere ermutigt
und ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben, sich als selbstständige
Frau zu behaupten. So überstand Biyouna später selbst die
schweren Jahre des Terrors in Algerien, in denen sie keine Filme aufnehmen
konnte.
Statt
dessen orientierte sie sich nach Europa. In Paris traf sie auf die
spanische Schauspielerin Carmen Maura ("Volver") und den
ebenfalls aus Algerien stammenden Regisseur Nadir Moknèche.
Beide unterstützten ihre Karriere, und inzwischen gilt Biyouna
als Charakterdarstellerin, mit einem Profil wie aus einem Almodovár-
oder Fassbinder-Film.
"Blonde
dans la Kasbah" ist nun eine musikalische Brücke zwischen
Paris und Algier. Biyouna liebt beide Städte, und als Ikone der
modernen, aufgeklärten Hauptstadt Algeriens genießt sie
dort längst Kultstatus. Sie folgt dabei der unkonventionellen
Lebensweise ihrer Mutter, die als Anhängerin der Schönheit
ein Foto von Marilyn Monroe wie ein Heiligenbildchen verehrte, und
sie lässt sich auch von religiösen Fanatikern nicht einschüchtern.
Im
Gegenteil: Mit beißender Ironie und ekstatischem Rhythmus wagt
sie den Abgesang: In "Merci mon Dieu // de n'pas avoir pensé
à mois" (Danke mein Gott, dass du nicht an mich gedacht
hast) zählt sie gemeinsam mit Duettpartner Didier Wampas eine
Liste menschlicher (göttlicher?) Irrtümer auf: "Die
Cholera ... einen Job in der Fabrik ... die Atombombe ... ein malignes
Melanom ... zwei Komma fünf Kinder ... die Fatwa ...": "Merci
mille fois // pour tout c'qu'j'n'ai pas ..." tausend Dank, für
alles, was ich nicht habe.
Ein
weiteres Duett gibt Biyouna mit der aus Malawi stammenden Jazz-Sängerin
Malia, mit der sie eine musikalische Tee-Zeremonie zelebriert. Die
Bandbreite ihrer Partner ist dabei auch ihre eigene. Die tiefe Leidenschaft
einer Chavela Vargas, der Blues einer Marianne Faithfull, die Dramatik
Juliette Grécos - Biyouna ist auch eine Charakterstimme.
"Blonde
dans la Kasbah" ist ein gleichermaßen französisches
und arabisches Album, zweisprachig sowieso, aber auch rhythmisch bewegt
es sich zwischen Chanson und Raï, und auch darüber hinaus:
Reggae, Dub und Ska, Jazz, Drums&Bass, Pop - für Biyouna
bilden persönliche und künstlerische Freiheit eine nicht
trennbare Einheit, und Beschränkungen hat sie noch nie akzeptiert.
Dafür
wird sie verehrt und geliebt, "gleichermaßen von ihren
Freunden in Paris wie von den Transsexuellen in Algier", denen
sie als Sinnbild weiblicher Emanzipation gilt. So entstand die vielleicht
schönste Beschreibung Biyounas: Sie sei "die Königin
von Algier und Prinzessin von Paris".
©
Michael Frost, 01. Juni 2007