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Schlüssel zum Paradies


Eine reife Frau, in ihrer ungeschminkten Art schöner denn je, ausgestattet mit einer Aura, die den Betrachter unwillkürlich in ihren Bann zieht und von einer Präsenz, mit der nicht nur die Bühne, sondern auch das Parkett und die Logen des Pariser Odeon erfüllt, tanzt in einem eng anliegenden Kleid, dessen Farbe als "blutrot" beschrieben wird, zu den Klängen arabischer Instrumente. Jane Birkin, vermutlich die "französischste" aller Engländerinnen, singt "Les Clés du Paradis" - Die Schlüssel zum Paradies - und es sieht aus, als halte sie genau diese in ihren Händen.

"Les Clés du Paradies" ist einer der wenigen Titel in ihrem Programm, der nicht aus der Feder ihres langjährigen Geliebten, Lebensgefährten und künstlerischen Partners Serge Gainsbourg stammt. Mit Gainsbourg verbindet Jane Birkin eine Karriere, an deren Beginn in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre vor allem öffentlicher Aufruhr stand. "Je t'aime moi non plus", die erste gemeinsame Single geriet zum Skandal. Der Gesang der beiden, der sich im Verlauf des Liedes immer mehr in lasziv lustvolles Stöhnen verwandelt, bescherte dem Duo ein ungeahntes Maß an Publicity. Sie wurden zu Ikonen der sexuellen Revolution, ein Image, das sie mit ihrem ersten gemeinsamen Album für die Ewigkeit zu zementieren wussten. "69 Année Erotique", einer der wiederum skandalträchtigen Titel der Platte "Jane Birkin Serge Gainsbourg" wurde zum Schlagwort dieser Zeit.

Seither werden Jane Birkin und Serge Gainsbourg stets in einem Atemzug genannt. Weder seine noch ihre Arbeit wären ohne den jeweils Anderen denkbar. Oft schien es, sie könnten weder mit- noch ohneeinander, und vermutlich machte die kontinuierliche Hochspannung im Verhältnis der beiden zueinander ihre kreativen Entladungen überhaupt erst möglich. Gainsbourg gilt heute als der wichtigste Wegbereiter französischsprachiger Rockmusik, der die bis dahin geltenden Grenzen des Chansons sprengte, andererseits aber auch als ur-französischer, Ketten rauchender Bonvivant, der das Leben in vollen Zügen genoss. In Jane Birkin hatte er, kurz nach seiner Trennung von Brigitte Bardot, eine kongeniale Entsprechung gefunden. Die Engländerin, die ihre Karriere ursprünglich als Schauspielerin begonnen hatte (u.a. spielte sie in Michelangelo Antonionis "Blow Up"), ist eine Vollblutkünstlerin, die sich mit außergewöhnlicher Empathie in die französische Seele einfühlte.

Zu Beginn der 80er Jahre zerbrach die Partnerschaft. Jane Birkin liierte sich mit dem Regisseur Jacques Doillon, aber wirklich verlassen hat sie Serge Gainsbourg wohl nie. Ihre Arbeiten korrespondierten miteinander: Gainsbourg schrieb Lieder, die sie singen sollte, und sie blieb weiter die Stimme einiger seiner schönsten Lieder wie "Fuir le bonheur de peur qu'il ne sauve" oder "Les dessous chics". Nebenher widmete sie sich wieder verstärkt dem Schauspiel, veröffentlichte aber auch weiter Platten, ebenso wie Gainsbourg, der ihr 1990 sein letztes Album "Amours des feintes" widmete.

Sie hatte stets betont, sie würde im Falle von Gainsbourgs Tod mit dem Singen aufhören, da sie sich "nicht vorstellen konnte, mit jemand anderem aufzunehmen". Folgerichtig legte sie 1992 während eines Konzertes in La Rochelle das Mikrofon auf den Boden und verließ die Bühne. Gainsbourg war im März des vorangegangenen Jahres gestorben.

Inzwischen hat sie glücklicherweise einen Weg gefunden, nicht nur weiter singen zu können, sondern auch das Andenken an Serge Gainsbourg zu wahren. Die "Versions Jane", die sie 1996 mit Hilfe unterschiedlicher französischer und internationaler Künstler (u.a. Les Negresses Vertes, Doudou N'Diaye Rose, Goran Bregovic) von frühen Gainsbourg-Titeln veröffentlichte, kennzeichnen die Rückkehr einer "neuen", selbstbewussten und befreiten Jane Birkin, der die Verantwortung für das Erbe Gainsbourgs nicht mehr Last, sondern Lust bereitet.

Nirgends vorher war diese Lust so spürbar nah wie auf "Arabesque", ihrem jüngsten Projekt. Bei dem eingangs erwähnten Konzert im Pariser Odeon-Theater, das im März 2002 stattfand, präsentierte Jane Birkin, begleitet von einer Handvoll spektakulärer arabischer und französischer Musiker - Djamal Benyelles (Geige), Fred Maggi (Piano), Amel Riahi el Mansouri (Luth), Aziz Boularoug (Percussions) und Moumen (Gesang) - zwanzig Gainsbourg-Titel in neuen, arabisch inspirierten Arrangements. Das Experiment wurde für die Veröffentlichung auf CD und DVD mitgeschnitten, ist mittlerweile erhältlich - und wurde zu einem so großen Erfolg, dass Jane Birkin mit dem Programm sogar zu einigen Konzerten nach Deutschland kam.

Die atmosphärische Dichte, die von Jane Birkin und ihren Begleitern in selten erlebter Symbiose zwischen Gesang und Instrumenten geschaffen wird, ist Atem beraubend. Sie hauchen den Gainsbourg-Klassikern wie "Elisa", "Couleur Café" oder "Comment te dire adieu" ein Maß an Vitalität und Leidenschaft ein, das man den zum Teil bereits dreißig Jahre alten Kompositionen kaum mehr zugetraut hätte. In der Transformation der alten Titel liegt somit der Schlüssel zur Bewahrung ihres Wesens - Gainsbourg erschließt sich auch einem jungen Publikum, während seine Fans von damals die Gelegenheit erhalten, ihn aus ungewohnter Perspektive neu zu entdecken.

Die Brücke der arabischen Arrangements zwischen Orient und Okzident hätte sicher auch ihm selbst gefallen, hatte er doch selbst Zeit seines Musikerlebens den Austausch zwischen französischer und internationaler Musikszene gesucht. Dass Jane Birkin auf diese Herausforderung nun eine eigene Antwort fand und diese derart stimmig und überzeugend umzusetzen verstand, unterstreicht einmal mehr die Genialität des Künstlerduos Birkin/Gainsbourg, aber auch ihre herausragende Position als eigenständige Musikerin und Interpretin.

© Michael Frost, 01. September 2003

 

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