Was
war der Hiphop doch arm ohne sie. Die Szene verkam zu einem jämmerlichen
Haufen selbstverliebter Pseudomachos, "die nichts als kapitalistisches
Konkurrenzverhalten" imitierten und "großmäulige
Protzerei ... als proletarische Selbstbefreiung" schönredeten
(Intro.de). Kein Gag scheint dieser Szene zwischenzeitlich zu billig,
keine Zote zu primitiv, um sie nicht doch zugunsten der eigenen Publicity
auszuschlachten, egal, ob es dabei gegen Frauen, Homosexuelle oder andere
überraschte Opfer geht: An die Stelle richtungsweisender Musik
und aussagekräftiger Inhalte rückt längst der kalkulierte
Tabubruch.
Wie
anders präsentierte sich dagegen der Hiphop von Arrested Development.
Politisch engagiert, mit deutlicher Botschaft, authentischen Roots,
die nicht aus Marketingabteilung ihres Labels stammten, sondern aus
Jazz, Soul, Funk, Blues und Reggae - natürlich aus dem Rap der
afroamerikanischen Ghettos der Großstädte - und Afrika.
Speech, Wortführer und Mastermind des 19-köpfigen "Hippie-Hop"-Projekts
(übrigens das erste, das aus Männern und Frauen bestand):
"Wir sind eine Gruppe, die über Afrikas Kampf, Afrikas Realität
spricht" (Poplexikon) - und darüber hinaus die Interdependenzen
afrikanischer und amerikanischer Kulturen auch musikalisch erfahrbar
zu machen.
Bereits
1993 erhielt Arrested Development den Grammy als beste neue Band und
als beste Rap-Band des Jahres. Ihr Debütalbum "Three years,
5 months and 2 days in the life of ..." hatte dabei gerade erst
einen kleinen Einblick in das Universum der 19 Musikerinnen und Musiker
geworfen, deren ältestes Mitglied inzwischen die 70 längst
überschritten hat und von der Band selbst nicht ohne Stolz als
"ältester Hiphop-Musiker der Welt" bezeichnet wird:
Baba Oje. Während des Auftritts für die MTV-"Unplugged"-Reihe
erlebt man Baba Oje lässig im Schaukelstuhl sitzend, während
die Band entspanntes Südstaaten-Feeling verbreitet. Vom betont
coolen Habitus der meisten ihrer rappenden Kollegen sind Arrested
Development weit entfernt. In dieser Beziehung orientierten sie sich
viel eher an der Reggae-Szene Jamaicas.
Vielleicht
ist es gerade der anarchische, undogmatische Umgang mit allen Konventionen,
der 1995 zur Auflösung der Band führte. "Zingalamadumi",
ihr von der Kritik hoch gelobtes zweites Album von 1994, blieb das
letzte Werk dieses Projekts - das inzwischen zwar einige Nacheiferer
fand und dennoch einzigartig blieb.
Die
Unverwechselbarkeit verdanken Arrested Development dabei sicherlich
vor allem Speech, seiner sonoren, einprägsamen Stimme, aber auch
seiner Handschrift, mit der er den Bandsound prägte - und anschließend
auch seine Soloprojekte, die er trotz des Comebacks der Gruppe nicht
aufgeben wird.
Ganz
überraschend kam die Rückkehr von Arrested Development nicht.
Schon seit geraumer Zeit tourt die Band durch Amerika, doch jetzt
spielte sie endlich auch wieder eine CD ein - tatsächlich erst
ihr drittes Studioalbum. Die Country-Fiddle, mit der sie 1992 ihrer
Karriere auf der Single "Tennessee" begannen, ist freilich
nicht mehr zu hören. Dafür aber alle möglichen anderen
Sounds zwischen Rap, Jazz, Soul und Pop, die bei verschiedenen Kritikern
erneut die Frage aufwerfen, inwieweit "Among the trees",
so der CD-Titel, überhaupt noch als Hiphop bezeichnet werden
könne.
Arrested
Development kennen diese theoretischen Debatten zur Genüge und
können sie getrost ignorieren. Denn wie auch immer man ihren
Stil nennt - er klingt saugut, und unverwechselbar.
©
Michael Frost, 13.08.2004