Auch
wenn sie die ganz große Aufmerksamkeit heute nicht mehr genießt,
so kann man den Einfluss von Joan Armatrading gar nicht hoch genug einschätzen.
Als 1972 ihr Debütalbum "Whatever's for us" erschien,
war das der Startpunkt einer traumhaften Karriere. Kaum eine Sängerin
von Tracy Chapman bis Alanis Morrissette, Norah Jones, Macy Gray oder
Tori Amos wären ohne ihre Pionierarbeit möglich gewesen.
Denn
Joan Armatrading gehört zu den ersten derer, die man heute in
der holprigen Rubrik "Singer/Songwriter" unterbringt. Sie
ist eine Songschreiberin, mehr noch: eine Autorin, für die Form,
Inhalt und Verfasserin von jeher eine untrennbare Einheit waren, und
wenn es eine Musikerin gibt, auf die der strapazierte Begriff der
Authentizität zutrifft, dann auf Joan Armatrading.
"All
the way from America" kam die 1950 geborene Joan Armatrading
als Kind von den Westindischen Inseln nach Großbritannien, doch
wegen ihrer Musik aus Pop, Soul und Folk wird sie immer wieder für
eine US-Amerikanerin gehalten. Mit sieben spielte sie auf dem Klavier
ihrer Mutter, ihre erste Gitarre kostete drei Pfund, sie brachte sich
das Spielen selbst bei und komponierte ihre ersten eigenen Songs,
als sie 14 war.
Seitdem
hat sie die Gitarre praktisch nicht mehr aus der Hand gelegt. Achtzehn
Studioalben zeugen von ihrer unbeirrbaren Kreativität, die sich
auch nach einer mehr als dreißigjährigen Karriere nicht
abgenutzt hat. Dafür steht ihr neues Album "Into the Blues"
als Beweis. Joan Armatrading taucht mit dem Album, Blues-Gitarre,
Klavier und Mundharmonika tief in die Welt des Blues ein, verknüpft
ihn mit Soul, Pop und Gospel, ganz so, als wäre sie irgendwo
in den Südstaaten der USA zu Hause und als hätte sie noch
nie andere Musik gemacht.
Vielleicht
kann man solchermaßen entspannte, durchdachte und dennoch zutiefst
emotionale Musik tatsächlich erst machen, wenn man einen gewissen
Schatz an Lebenserfahrung gewonnen hat - "Into the Blues"
könnte daher nicht das Album einer 20-Jährigen sein. Und
so bezeichnet Joan Armatrading die CD als ihre bislang beste Aufnahme,
was angesichts so fantastischer Klassiker wie "Me myself I",
"Ma-Me-O-Beach", "Love and affection" und "Rosie"
kaum vorstellbar ist. Und dennoch: Die besondere Größe
von Joan Armatrading liegt darin, dass jedes ihrer Alben immer auf
der Höhe der Zeit war, in der es veröffentlicht wurde, und
so hat sie ihren Horizont immer erweitert.
Videolink: Joan Armatrading "Love and affection"
Live 1979 / youtube
Für
ihre Musik wurde sie ausgezeichnet wie kaum eine zweite Musikerin:
goldene Schallplatten, Grammy- und Britaward-Nominierungen, die Ehrendoktorwürde
der musikwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten
von Liverpool, Northampto, Aston und Birmingham - und die Einladung,
ein Lied für den von ihr besonders verehrten Nelson Mandela zu
schreiben. Die Musik allein war ihr nie genug, immer stellte sie ihre
Arbeit auch in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Ihre engagierten,
auf genauer Beobachtung der Menschen und ihrer Lebensverhältnisse
beruhenden Lieder machten sie zu einer wichtigen Streiterin für
Frieden, Menschenrechte und kulturelle Selbstbestimmung.
Es
entspricht ihrer umtriebigen Art, dass sie sich nicht mit einer weiteren
Albumveröffentlichung begnügt - sondern auch den Kontakt zum Publikum sucht. Also stellt sie auch ihr aktuelles Album wieder live vor.