Was
für eine Stimme. Sie könnte einem traurigen Bruder von Beth
Gibbons gehören, einer sinistren Schwester von Nick Cave. "Als
ich 'Cripple and the starfish' zum ersten Mal hörte, fühlte
ich die Gegenwart eines Engels". Es ist kein Geringerer als
Lou Reed, der sich hier, sonst ein abgeklärter Veteran des Musikgeschäfts,
im Superlativ ergeht, und gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Laurie
Anderson protegiert er seither die Karriere des jungen Antony, in
England geboren, in Kalifornien aufgewachsen, in New York zu Hause.
Lou
Reed engagierte Antony für sein Edgar Allen Poe-Projekt "The
raven", und anschließend nahm er ihn mit auf Tour. Dass
er Antony dabei den kompletten Gesangspart des Velvet Underground-Klassikers
"Candy says" überließ und diese Fassung mit auf
das Live-Album "Animal serenade" pressen ließ, gilt
mittlerweile als Ritterschlag für den Sänger "mit
dem theatralischsten, flatterhaftesten Vibrato, das man je im Pop-Kontext
gehört hat" (taz).
Seit
sich Musikerkollegen und Feuilletons gleichermaßen überschlagen,
befindet sich Antony auf der Überholspur. Sein zweites Album
"I am a bird now" wurde, nachdem es bereits zu Jahresbeginn 2004 mit Höchstnoten bedacht worden war, im Herbst des Jahres gleich noch einmal veröffentlicht.
Es
sei die "akribische Präzision" (Pressetext) seiner
Arrangements, die Antonys Ausnahmeposition in der Musikwelt ausmachten.
Doch diese Beschreibung allein wird ihm noch nicht gerecht, denn wenn
man sich (was fast unmöglich ist) seine Stimme einmal wegdenkt,
dann bleiben Kompositionen übrig, die sicherlich hochprofessionell
sind, aber deutlich wenig extravagant als ursprünglich vermutet.
"You are my sister" beispielsweise, das Duett mit Boy George
auf dem aktuellen Album, ist eine geradezu klassische Soulballade,
die ihre besondere Magie erst durch die Präsenz von Antonys unter
die Haut gehende Stimme entfaltet. Diese Aura riss im übrigen
Boy George gleich mit: Seit Jahren hatte die Pop-Ikone der 80er nicht
mehr so hinreißend und kraftvoll geklungen wie hier.
Inzwischen verschaffte Antony zahllosen Kollegen ähnliche Karriere-Glanzlichter. Seit "I am a bird now" vergingen nahezu fünf Jahre, in denen er sich offenbar mit großer Begeisterung der Zusammenarbeit mit Kollegen widmete. Von seiner Leidenschaft für Duette profitierten zuletzt Björk ("The dull flame of desire"), Hercules and Love Affair ("Blind"), Marianne Faithfull ("Oh Baby Baby") und sogar Herbert Grönemeyer ("When will I learn"). Und alle sind voll des Lobes: Kollegen, Kritiker, Fans sowieso. "You're so authentic", schrieb
ihm ein Fan ins Gästebuch der offiziellen Antony and the Johnsons-Website.
Das
Gästebuch lässt bereits erahnen, dass mit Antony jemand
die Bühne betreten hat, der auf dem Weg zum Kultstar ist. Die
Bewunderer grüßen zwischen Reykjavik und Canberra aus allen
Teilen der Welt: seine Stimme berührt die Seelen unabhängig
von Alter, Herkunft, Sprache und Geschlecht - ein Phänomen, das sich durch das nun endlich erschienene neue Album "The crying light" noch verstärken wird. "Bis zum ersten
Song waren neben Fans auch viele Neugierige und Skeptiker im Parkett
und auf den Rängen, danach nur noch Bewunderer", schrieb
ein Kritiker 2004 über Antonys Auftritt im Hamburger Thalia-Theater.
Auch
darin besteht die Authentizität des Künstlers: in der Einheit
von Inhalt, Ausdruck und Form.
©
Michael Frost, 01.07.2005
Update: 18.01.2009