Not macht erfinderisch. Das weltweit wohl renommierteste Jazz-Label "Blue Note", bei dem vor allem in den 1950er und 60er Jahren sämtliche Jazz-Größen von Thelonius Monk bis Miles Davis ihre Alben veröffentlichten, hat sein Repertoire in den letzten Jahren, wohl nicht ganz ohne Zusammenhang zu der Absatzkrise des CD-Marktes, deutlich verbreitert.
Was bisweilen schon wie ein Gemischtwarenladen wirkt, hat aber durchaus enorme Vorteile: Denn früher hätten Künstlerinnen wie Hindi Zahra wohl keine Chance auf einen Vertrag mit Blue Note gehabt - schon gar nicht als Debütantin. Insofern hat die Krise durchaus ihre Gewinner. Doch im Fall von Hindi Zahra profitiert vor allem das Publikum von der aus der Not zur Tugend erhobenen Erweiterung des Jazz-Begriffs der Blue Note-Verantwortlichen.
Und Hindi Zahra, die in Marokko aufgewachsene, inzwischen jedoch in Paris lebende Sängerin, verschwindet nicht in der Nischen-Schublade "Weltmusik" - in die sie übrigens auch gar nicht gehören würde.
Das Cover zu "Handmade" zeigt eine junge Künstlerin in modernem Outfit, allerdings vor dem Hintergrund eines Ladenregals, wie man sie in jeder nordafrikanischen Medina findet. In den Regalen aufgereit: Exotisch anmutende Pulver in allen Farben des Regenbogens, vielleicht Gewürze, vermutlich jedoch die Zutaten für das Färben von Textilien.
Jedes dieser Gläser enthält eine andere Farbe, ebenso wie jedes der Lieder auf "Handmade" eine andere Klangfarbe in den Vordergrund stellt. "Don't forget" etwa, das in diesem Moment des Schreibens im CD-Player läuft, erinnert auf frappante Weise an den Blues einer Billie Holiday beziehungsweise - aktueller - einer Madeleine Peyroux, endet dann aber mit arabischen Percussions. Der nachfolgende Abschlusssong "Old friends" ist nicht etwa eine Coverversion des gleichnamigen Simon & Garfunkel-Songs, sondern ein sphärisches, hypnotisches Chanson mit Cooljazz-Anleihen, die hier - übrigens nicht zum einzigen Mal auf diesem Album - an die Schwedin Jenny Wilson erinnern.
Zu diesem Zeitpunkt hat man das Erstaunen über die Schellak-selige Albumeröffnung "Beautiful tango" , die gar kein Tango ist, die Sängerin jedoch gewissermaßen als legitime Nachfahrin der Andrew Sisters in Stellung bringt, bereits verarbeitet. Mit "Oursoul" entführt sie anschließend in die Sprache der Berber ("Oursoul" bedeutet hier "Verflossene", während das anschließende "Fascination" eine berührende, rhythmische und wunderschön instrumentierte Folkballade ist. "Stand up" stellt später endlich einmal die betörenden Rhythmen Arabiens in den Vordergrund, "Set me free" dagegen spielt in seinem repetitiven Refrain mit Versatzstücken aus Soul und Gospel - und langsam kommt man dahinter, dass Hindi Zahra vor allem eine äußerst ungewöhnliche R'n'B-Interpretin ist, die sowohl James Brown und Aretha Franklin zu ihren Vorbildern zählt als auch die frühen Fleetwood Mac.
"Jazz", sagt Hindi Zahra, "kommt kreativer Freiheit gleich", ist als der Ort, an dem man tun kann, was man will. Das tut Hindi Zahra mit großer Hingabe, selbstbewusst und enormem Freiheitsdrang. Diese Qualitäten haben die großen Blue Note-Künstler schon immer ausgezeichnet. Insofern ist Hindi Zahra eine wahre Zierde für ihr Label - und sowieso eine sichere Nominierung für das "Debüt des Jahres".
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Michael Frost, 06.03.2010