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Mit allen Sinnen sehen

 

Ob er wohl gehen können werde? Die angstvolle Frage seiner Eltern verarbeitete Geoffrey Gurrumul Yunupingo in dem Text seines Liedes "Gurrumul history (I was born blind)".

Doch inzwischen kann Gurrumul stolz darauf verweisen, um die Welt gereist zu sein: "I've been to New York, I've been to LA, I've been to London" - nicht eben selbstverständlich für einen blinden Aborigine. Doch heute ist Gurrumul einer der wenigen Aborigine-Künstler, "der sich seinen Weg ins australische Mainstream-Bewusstsein gebahnt hat" (Pressetext). Tatsächlich wurde sein Album "Gurrumul" in Australien bereits mit Platin und mehreren Musikpreisen ausgezeichnet.

Viel mehr als seine Gitarre hat er dafür nicht gebraucht - nur noch eine Stimme, so schüchtern und zart, das man beim Hören bisweilen an Antony Hegarty (Antony and The Johnsons) erinnert wird, auch die berührende Intensität seiner Lieder muss den Vergleich keineswegs scheuen.

Videolink: Geoffrey Gurrumul Yunupingu "Wiyathul" / youtube
 

Geoffrey Gurrumul Yunupingo würde sich selbst wohl als Singer/Songwriter bezeichnen. Seine Lieder sind geradlinig und eingängig, die Texte schnörkellos, manchmal mit rätselhaften Metaphern, doch die kristallklare Struktur seiner Musik macht selbst die weithin unbekannten Sprachen der Aborigines (Gurrumul singt in Gälpu, Gumatj und Djambarrpuynu, englische Übersetzungen im Booklet) verständlich: Man spürt die zarte Empfindsamkeit eines Künstlers, der, vielleicht aufgrund seiner fehlenden Sehfähigkeit, gelernt hat, mit allen Sinnen zu sehen.

Der einzige Begleitmusiker ist Bassist Michael Hohnen, Yunupingus bester Freund seit der Kindheit, für einzelne Lieder wurden zusätzliche Background-Sänger engagiert, doch "Gurrumul" ist die Einzelleistung eines Musikers, der ähnlich direkt und unmittelbar berührt wie einst der erste Auftritt von Tracy Chapman - beide teilen die Aura von Ernst und Wahrhaftigkeit und somit Empfindungen, die in der Popmusik eine absolute Ausnahmeerscheinung sind.

Die ursprüngliche Angst seiner Eltern dürfte längst einem Gefühl besonderen Stolzes gewichen sein, der sicherlich noch weiter wächst, wenn er mit seinem Album nun auch die Herzen der Europäer erreicht.

© Michael Frost, 02.08.2009


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